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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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unverändert. Die Seele, die sich in den Augen offenbarte. Steinhart wie zwei Kiesel, wie zwei glänzend schwarze Stückchen Quarz.
     
    Die roten Lichter des Autos vor ihm sind durch den zitternden Nebel nur verschwommen zu erkennen. Er wischt sich wieder mit der Hand über die Augen. Es gibt nichts, was ihn noch in diesem Land hält, keine Beziehungen oder Wurzeln. Nichts. Sollte er umkehren? Das Auto wenden und zurück in die City fahren, sich noch einmal ein Hotel suchen, den Rückflug auf morgen umbuchen? Verschwinden, als wäre er nie zurückgekommen? Nein. Er muss
dorthin
. Muss es aus der Welt schaffen. Beseitigen. Dem Erdboden gleichmachen. Damit ihm niemand etwas anhängen kann, ihn unter die Lupe nimmt. Ihn schnappen und einbuchten kann. Endlich ein bisschen Ruhe finden. Ein bisschen Stille.
    Er konzentriert sich auf den Abstand zu dem vor ihm fahrenden Auto, auf den Tacho, darauf, unter der Höchstgeschwindigkeit und in der Spur zu bleiben. Konzentriert sich darauf, nicht aufzufallen. Wachsamkeit und Vorsicht. Bewegt sich durch die Landschaft und versucht, dabei die Unruhe aus dem Körper nach draußen zu verlagern, bis das, woran er vorbeifährt, das Unruhigere ist. Bis nichts mehr stillsteht, außer ihm dort drinnen in der Kapsel. Der fast unmerkliche Bewegungen ausführt.
    Wenn es doch nur so wäre, dass man nichts sieht, während man fährt. Wenn er doch bloß kein Gedächtnis hätte und die Orte, an denen er vorbeikommt, keine Erinnerungen wachrufen würden. Oder wenn die Zeit alles so gründlich verändert hätte, dass er es nicht wiedererkennt. Aber heute sieht die Stadt fast so aus wie früher. Sagene hat sich kaum verändert. Der Carl Berners Plass ist auch noch derselbe. Aber ein Stück den Trondheimsveien hinauf sind neue Wohnungen gebaut worden. Er hofft, dass sich das fortsetzt. Doch das tut es nicht. Oben in Sinsen stehen noch dieselben roten Backsteinblocks. Sogar das Renna gibt es noch, die alte Eckkneipe Rendezvous.
     
    Nachdem Elise ausgezogen war, kam er nicht zur Ruhe. Er dachte fast die ganze Zeit an sie. Sah sie vor sich, wie sie mit dem Rücken zu ihm drüben an der Küchenanrichte stand und Essen machte. Sah sie mit hochgezogenen Knien in der Sofaecke kauern. Sah sie in den Frauen, die vor ihm die Straße entlanggingen, sodass er seine Schritte beschleunigte, sie überholte und ihnen dabei ins Gesicht sah, obwohl er wusste, dass sie es nicht war. Im Schlosspark sah er sie überall. Vor ihm auf dem Weg. Bei der Hecke, an der er vorüberging. Unter den hohen Bäumen, über ein paar Blumen gebeugt.
    Schließlich rang er sich dazu durch, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Er ging ins Sekretariat der Kunst- und Handwerksschule, bekam ihre neue Adresse und die Telefonnummer. Zu Hause wählte er die Nummer, hielt den Hörer in den verschwitzten Händen und wartete. Als sie endlich abnahm, sagte sie: Ja?, mit ihrer sanften Stimme. Er sagte: Hallo, ich bin’s. Sie antwortete nicht. Er hörte nur das Klicken, als sie auflegte. Die nächsten Male sagte sie nichts. Kein Wort. Sie atmete nicht einmal. Es war, als atmete sie nicht. Er sagte: Hallo, Elise, bist du dran? Ich bin es nur. Und da legte sie auf.
    Einmal fuhr er mit der Straßenbahn hinauf nach Sinsen. Ging zu dem Backsteinblock, klingelte. Nach einer Weile öffnete sie, machte die Tür aber sofort wieder zu, als sie ihn erkannte. Sie schloss ab und legte die Kette vor. Er sah ihr Gesicht deutlich vor sich, obwohl die Tür zu war. Die großen verängstigten Augen. Er hatte die Stirn an die Tür gelegt. Hatte geklopft, wieder geklingelt, gewartet. Bitte mach auf, hatte er gesagt. Aber sie tat es nicht noch einmal.
    Schließlich war er gegangen. Als er am Renna vorbeikam, dachte er, dass er ein Bier vertragen könnte. Er ging hinein, bestellte ein großes Pils, setzte sich in eine der Nischen und zündete sich eine Zigarette an. Während er in das goldene Getränk starrte, dachte er: Kann man seine Sorgen ertränken, oder ist das nur so ein Spruch?
    Er sah aus dem Fenster auf den vorbeirauschenden Verkehr, blickte wieder in sein Bier, dann trank er es aus. Bestellte noch eins und sah sich in dem dunklen Lokal um. Ein paar in die Jahre gekommene Säufer in einer Ecke, ansonsten nur noch er und der Typ hinterm Tresen. Ein massiger Kerl mit mächtigen Armen und Schultern und einer ramponierten Nase.
    Wilhelm steckte sich gerade eine neue Zigarette an, als die Türglocke ging. Er blickte auf und bemerkte verblüfft, dass Elise hereinkam. Und er

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