Der Wald wirft schwarze Schatten
Bettsofa, betrachtet die T-Shirt-Lampe und das gelbweiße Licht, das geradeaus nach oben zeigt.
«Glaubst du, hier ist jemand? Glaubst du, sie können uns durch das kleine Fenster sehen?»
«Hier ist außer uns niemand, mein Schatz. Niemand kann uns sehen.»
«Wie groß ist der Wald, Papa?»
«So groß, dass man durch ganz Schweden, Finnland und bis nach Russland kommt, wenn man immer weitergeht. Vielleicht sogar noch weiter.»
Sie schweigen eine Weile. Horchen auf die Geräusche von draußen, auf den Wind, der in den Bäumen rauscht, die Äste, die an der Hüttenwand kratzen, und das Krächzen einiger Vögel. Lukas friert.
«Können wir ein Feuer im Kamin machen?»
«Wir haben doch keine Streichhölzer, hast du das vergessen? Aber das macht auch nichts, denn ich bin nicht mal sicher, ob der Abzug frei ist. Dann ist die Hütte nachher verqualmt. Und dann müssten wir schnell raus. Ins Dunkle.»
«Und da stirbt man.»
«Nein, das tut man nicht.»
«Aber man kann sich verlaufen», sagt Lukas.
«Das stimmt.»
«Aber man geht nie ganz verloren. Oder, Papa? Sogar wenn man tot ist, ist man noch irgendwo. So wie der Elch. Wir hätten ihn begraben sollen.»
«Wir wären am besten gar nicht hiergeblieben», sagt Papa und gießt sich noch einen Schnaps ein.
«Kannst du meinen Schlafsack holen? Ich möchte lieber hier bei dir auf dem Sofa liegen und die T-Shirt-Lampe angucken.»
Papa steht auf, geht ins Schlafzimmer und kommt mit Wolf und dem Schlafsack zurück. Lukas kriecht hinein, nimmt Wolf in den Arm und schmiegt sich an Papa.
«Papa, weißt du, wie ein schwarzes Loch aussieht?»
«Nein.»
«Wie ein Auge. Das nur glotzt, so. Das Dunkle in der Mitte, das ist das Loch. Und alles, was außerhalb vom Loch ist, dreht sich immer im Kreis, bevor es hineingesaugt wird. Das habe ich auf YouTube gesehen.»
Papa trinkt einen Schluck.
«Hast du Angst, Papa?»
«Angst? Nein.»
Papa sitzt still da und starrt vor sich hin.
«Du siehst aber aus, als ob du Angst hast, Papa. Fast ein bisschen unheimlich. Aber du bist nicht unheimlich.»
«Jetzt ist es zu spät, um zurückzugehen. Viel zu spät. Wir würden den Weg gar nicht finden.»
«Aber morgen finden wir ihn», sagt Lukas. Er tätschelt Papas Hand.
Papa sieht ihn an und lächelt. Jetzt ist er wieder normal.
«Kann ich auf deinem Schoß schlafen?», fragt Lukas.
«Leg dich ruhig hin.»
«Du brauchst keine Angst haben, Papa. Ich passe auf dich auf.»
«Das ist gut, mein Schatz.»
«Und Wolf passt auf uns beide auf. Er zeigt einfach seine Zähne und verjagt alle Bösewichter. Stimmt’s, Wolf?»
Wolf schaut zu Lukas auf und nickt.
«Nacht, Papa.»
«Gute Nacht, schlaf schön.»
Lukas fallen die Augen zu. Im Traum schwebt er mit seinem kleinen Raumschiff hoch oben im Weltraum. Die Sterne um ihn herum leuchten weiß. Weit unten kann er die Erde sehen. Sie ist grün und blau und sieht aus wie seine allerschönste Murmel. Er legt den Kopf zurück, schiebt den Astronautenhelm ein Stück nach oben, damit er besser sehen kann. Über ihm ist etwas, das Ähnlichkeit mit einem Auge hat. Es ist riesig groß mit einer schwarzen Pupille in der Mitte und einer gelben und orangefarbenen Iris darum herum. Das Gelb bewegt sich und sieht aus, als bestünde es aus Flammen. Es ist sehr schön. Luke spürt, wie das Auge ihn anzieht, fühlt die Kraft der Pupille, wie unglaublich stark sie ist. Mit aller Macht reißt er die Steuerhebel nach hinten und versucht, mit dem Raumschiff umzukehren. Aber der Sog des Loches ist stärker als er. Er weiß nicht, wie lange er noch dagegenhalten kann.
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27
Sein Blick gleitet unruhig über die Schatten an der Wand, über das Bild vom Grand Canyon, die abgeblätterte Tapete und das Fenster mit den zerlöcherten Gardinen und der schwarzen Dunkelheit dahinter.
Sein Körper ist steif, weil er zu lange in derselben Stellung gesessen hat. Der Rücken ist starr vor Kälte, die Füße eisig. Aber sein Schoß, wo der schlafende Junge liegt, ist völlig verschwitzt. Robert streckt die linke Hand aus und nimmt einen Schluck aus dem Glas, obwohl er weiß, dass er schon zu viel intus hat. Er hätte die Flasche nicht anrühren dürfen. Hätte sofort umkehren und Lukas zwingen sollen, mitzukommen. Ihn den Weg entlangschleifen, allem Geschrei zum Trotz. Hätte erst ihn und dann sich selbst den Gurt anlegen und von hier wegfahren sollen.
Würde der Angstkiller doch bloß wirken! Doch der hat überhaupt nichts genutzt. Er ist noch
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