Der Waldläufer
ließ das weitverbreitete Gerücht davon ihn nicht bezweifeln. Don Estévan beschloß demnach, Diaz für seine Absichten zu gewinnen und ihn zu diesem Zweck an sich zu fesseln. Man darf nicht vergessen, daß der Spanier bei seinen politischen Plänen die Eroberung des Val d'Or nur als ein Mittel betrachtete, das höchste Ziel, das er vor Augen hatte, zu erreichen.
Während sie langsam der Straße folgten, die Cuchillo ihm vorgezeichnet hatte, hatte Don Estévan einen Versuch gemacht, die Gesinnungen seines Neuangeworbenen zu sondieren, dessen Entschlossenheit und Gewandtheit der Hacendero ihm schon gerühmt hatte. Aber diese zwei Eigenschaften genügten Don Estévan noch nicht, um aus Diaz einen Unterbefehlshaber und einen Vertrauten zugleich zu machen. Er lenkte die Unterhaltung auf eine ganz natürliche Weise auf die Gründe des Mißvergnügens über das Mutterland, wovon er die ersten Spuren während seines Aufenthalts im Staat Sonora bemerkt hatte. Bei den ersten Worten, die Pedro Diaz antwortete, sah Don Estévan, daß er der Mann sei, den er zu finden wünschte; aber der Augenblick war noch nicht da, sich ihm ganz zu eröffnen. Er hielt nur in seinem Geist den Gedanken fest, daß Diaz unter seinen Händen zugleich ein mächtiges Werkzeug und ein kostbarer Gehilfe sein würde, und begnügte sich damit, ihn halb und halb sehen zu lassen, daß die Expedition nach Tubac, wenn sie mit Erfolg gekrönt sei, leicht eine Trennung der Provinz Sonora vom souveränen Kongreß Mexikos herbeiführen könne.
Cuchillos Büchsenschuß unterbrach Don Estévan. Wenn die Habgier des Banditen ihm gestattet hätte seine beiden Gefährten Oroche und Baraja, die ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatten, an der Belohnung, die er von Don Estévan erwartete, teilnehmen zu lassen, so würde Tiburcio gewiß von einer der drei zugleich auf ihn abgefeuerten Büchsen getroffen worden sein. Aber Cuchillo hatte allein die zwanzig ihm von Don Estévan versprochenen Unzen Gold gewinnen wollen, und die plötzliche Bewegung, die Tiburcio bei der Entdeckung Bois-Rosés gemacht hatte, war der Grund, daß er der einzelnen Kugel des Mörders entging.
Als Cuchillo seinen Schuß abgegeben hatte, nahm er sich nicht die Zeit, zu untersuchen, ob er getroffen hätte, sondern beeilte sich, wie er es zuvor gesagt hatte, sich zu seinen beiden Gefährten zurückzuziehen. Doch war sein Auge etwas von Furcht getrübt; denn hatte er auch den getroffen, nach dem er gezielt hatte so zweifelte er doch nicht, daß zwei Jäger dessen Tod rächen würden, deren Geschicklichkeit und Unerschrockenheit er erst am Tag vorher schätzen gelernt hatte. Cuchillo erkannte also auch beim ersten Anlauf den Ort nicht, wo er sein Pferd angebunden hatte. Obgleich seine Ungewißheit nur kurze Zeit dauerte, so wäre sie ihm doch verderblich geworden, wenn nicht Bois-Rosé und seine beiden Freunde durch diesen plötzlichen Angriff ebenfalls ein wenig außer Fassung gekommen wären. Der unvorhergesehene Schuß, der sich in dem Augenblick entlud, wo Tiburcio und der Kanadier noch unter dem Eindruck der lebhaftesten Aufregung waren, betäubte sie gleichsam.
»Caramba!« rief Pepe. »Ich wäre neugierig, zu wissen, wem diese Kugel zugesandt werden sollte – mir oder Euch, junger Mann; denn ich habe Eure Unterhaltung mit angehört, und ich, der ich dieser Geschichte von Elanchove nicht fremd bin ...«
»Von Elanchove?« sagte der Kanadier. » –Wie? Du solltest wissen ...?«
»Aber dies ist nicht der Augenblick, gefühlvoll zu sein«, antwortete Pepe rasch. »Wir wollen später darüber sprechen, denn es ist ein Geheimnis, das du ohne mich nicht entwirren könntest. Du bist es, der, wie es scheint, den jungen Grafen wiedergefunden hat; das ist für jetzt genug. Nun vorwärts, Bois-Rosé! Geh rechts, wo die Entladung herkam; dieser junge Mann und ich, wir wollen uns auf der anderen Seite in den Hinterhalt legen, denn der Schelm, der den Schuß getan hat, ist vielleicht jetzt gerade im Begriff, unser Nachtlager zu umgehen, und dann wird er in unseren Hinterhalt fallen.«
Nach diesen Worten warf sich Pepe, die Büchse in der Hand und von Tiburcio, der sein Messer gezogen hatte, gefolgt, nach der einen Seite, während der Kanadier seine hohe Gestalt mit außerordentlicher Geschwindigkeit krümmte und in der Richtung, die Pepe ihm angedeutet hatte, unter den dichtesten Zweigen mit ebensoviel Schnelligkeit als Geräuschlosigkeit hinschlüpfte. Das Nachtlager war also für den Augenblick
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