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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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die Insel mit vereinten Kräften losreißen?«
    »Losreißen, gewiß, Fabian; aber wir laufen auch Gefahr, sie wie ein Reisbündel, dessen Band man zerrissen hat, auseinanderzuwerfen, und unsere Rettung hängt von der Erhaltung der Insel in dem Zustand ab, wie sie die Natur gemacht hat. Vielleicht hat sich nur irgendein Hauptast oder irgendeine große Wurzel an den Boden des Flusses festgeklammert und hält sie unbeweglich zurück. Viele Jahre haben verfließen müssen, seitdem diese Bäume sich hier festgepflanzt haben, sofern ich nämlich richtig von der Erdschicht aus schließe, die sich auf ihnen gebildet hat. Auf die Länge müssen diese Wurzeln oder Zweige im Wasser morsch geworden sein, und das will ich zu erfahren suchen.«
    In diesem Augenblick unterbrach die traurige Stimme einer Eule den Kanadier. Diese klagenden Töne, die plötzlich die tiefe Stille der Nacht störten, klangen gerade in dem Augenblick, wo ein Strahl von Hoffnung in den Augen der Jäger blitzte, den Ohren Pepes wie eine traurige Vorhersagung. »Ach«, sagte der Spanier, bei dem die Gefahr abergläubische Gedanken weckte, traurig, »die Stimme der Eule in einer solchen Lage wie dieser bedeutet nichts Gutes.«
    »Die Nachahmung ist vollkommen, ich gebe es zu«, erwiderte Bois-Rosé; »aber du solltest dich nicht so täuschen lassen. Eine indianische Schildwache stößt diesen Ruf aus, vielleicht um seine Gefährten zu warnen, die Augen offenzuhalten; oder es ist – was noch wahrscheinlicher ist – eine Erfindung ihrer teuflischen Niederträchtigkeit, um uns in Erinnerung zu bringen, daß sie über uns wachen. Es ist eine Art Todesgesang, mit dem sie uns belustigen wollen.«
    Der Kanadier hatte kaum geendet, als sich vom entgegengesetzten Ufer derselbe Ton wiederholte, aber mit bald spöttischen, bald klagenden Modulationen, die die Voraussage des alten Jägers Punkt für Punkt bestätigten. Aber diese Stimmen waren darum doch nicht weniger schrecklich, denn sie zeugten von den Gefahren und Nachstellungen, die die Dunkelheit der Nacht verhüllte.
    »Ich habe Lust, ihnen hinüberzurufen, sie sollten lieber wie Jaguare brüllen, die sie doch sind«, sagte Pepe.
    »Tue es ja nicht; das hieße ihnen genau die Stelle bezeichnen, wo wir uns befinden. Die Schelme wissen es nicht mehr genau.« Bei diesen Worten trat Bois-Rosé mit der größten Vorsicht ins Wasser.
    Nicht ohne einige Unruhe folgten die auf der Insel zurückgebliebenen zwei Jäger mit dem Auge der Untersuchung des Kanadiers. Dieser tauchte ins Wasser und verschwand von Zeit zu Zeit unter der Oberfläche des Flusses wie der Taucher, der längs der Wände des Schiffes die Stelle sucht, wo das einströmende Wasser das Schiff sinken zu machen droht.
    »Nun?« fragte Pepe lebhaft, als der Kanadier wieder auftauchte, um Atem zu schöpfen. »Liegen wir an mehreren Ankern fest?«
    »Ich glaube, alles geht gut«, antwortete Bois-Rosé.
    »Ich bemerke bis jetzt nur einen, der die Insel auf der Stelle festhält; aber es ist der Notanker!«
    »Nimm dich nur besonders in acht, zu weit vorzugehen!« sagte Fabian. »Du könntest dich in die Wurzeln und in das Netz von Zweigen unter dem Wasser verwickeln.«
    »Sei ohne Furcht, mein Kind«, erwiderte der Kanadier. »Ein Wal würde eher an einem Fischerboot, das er zwanzig Fuß hoch in die Luft schleudern kann, hängenbleiben, als ich unter dieser Insel, die ich mit einem Schulterstoß in Stücke umherstreuen würde.«
    Der Fluß rauschte abermals über dem Haupt des Kanadiers. Ein ziemlich langer Zwischenraum verfloß, währenddessen – als ob die Ahnungen Fabians sich erfüllen sollten – sich das Verweilen Bois-Rosés an den Wirbeln zeigte, die sich um die Insel bildeten, die bald wie ein Schiff mitten auf hochgehender See bis auf den Grund erbebte. Man fühlte, daß der Riese eine mächtige, letzte Anstrengung machen mußte. Fabians Herz stand einen Augenblick in seiner Brust bei dem Gedanken still, daß Bois-Rosé vielleicht mit dem Tod ringe, als ein dumpfes Krachen wie das der Rippen eines Schiffes, das an einem Felsen zerbirst, sich fast unter seinen Füßen vernehmen ließ.
    Im selben Augenblick erschien der Kanadier wieder auf der Oberfläche des Stromes mit triefenden Haaren und einem Gesicht, das vom heftig zum Kopf dringenden Blut gerötet war. Mit einem Sprung war er auf der Insel, die sich langsam um sich selbst zu drehen begann und dann sanft dem Strom folgte. Eine ungeheure Wurzel hatte sich tief in das Bett des Flusses gesenkt,

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