Der Waldläufer
war aber in den kräftigen Händen des Kolosses zerbrochen, dessen Kraft sich in der Verzweiflung verzehnfacht hatte. »Gott sei gelobt!« sagte er. »Das letzte und einzige Hindernis, das uns festhielt, ist überwunden, und wir sind flott.« In der Tat bewegte sich die Insel schon, während er sprach, unter dem Eindruck des Stromes vorwärts; zwar kaum merklich, aber doch vorwärts.
»Jetzt«, sagte Bois-Rosé, »liegt unser Schicksal in der Hand Gottes. Wenn die Insel sich in der Mitte des Flusses hält, so werden wir bald mit Hilfe des Nebels, der seine Oberfläche bedeckt, den Indianern aus dem Gesicht und aus dem Bereich ihrer Hand sein. O mein Gott«, sagte er mit Inbrunst, »noch einige Stunden Nacht, und deine Geschöpfe sind gerettet!«
Die drei Jäger schwiegen. Sie folgten mit unruhigen Augen den Bewegungen der schwimmenden Insel, als daß sie miteinander hätten ein Wort wechseln können. Freilich mußte der Tag bald anbrechen; aber bei der Kälte der Nacht, die sich gewöhnlich ein oder zwei Stunden vor Sonnenaufgang noch vergrößert, werden die aus dem Fluß aufsteigenden Dünste noch dicker und ballen sich noch mehr zusammen.
Die Feuer am Ufer erschienen nur noch wie Sterne, die am Firmament bei der Rückkehr der Morgenröte erbleichen. Auf dieser Seite des Flusses war die Gefahr weniger groß und die Aussicht, dem Blick der indianischen Wachen zu entgehen, fast gewiß; aber eine andere Gefahr bedrohte die drei Jäger: Die schwimmende Insel, so sanft sie auch vom Lauf des Flusses mitgenommen wurde, folgte der Strömung doch nur, wobei sie sich um sich selbst drehte, und es stand zu befürchten, daß sie bei diesen ständigen Umdrehungen von der geraden Richtung abweichen und am Ufer stranden würde. Zur Rechten oder zur Linken– die Indianer waren überall.
Wie die Matrosen eines seiner Masten und seines Steuers beraubten Schiffes, das von der wogenden See nach dem Riff geschleudert wird, wo es zerschmettert werden muß, so verfolgten die drei Jäger mit angstvollen Augen die ungewisse und schweigende Fahrt des Eilands. Zuweilen kam ein sanfter Lufthauch von der Seite des Landes und säuselte durch die Einfassung von Weidenschößlingen, verdorrten Zweigen und Schilfbüschen. Die schwimmende Insel schien sich nach rechts oder links zu neigen und beschrieb einen weiten Kreis. Zuweilen bemächtigte sich auch eine durch die Ungleichheit des Flußbettes gebildete Strömung des Floßes aus Baumstämmen und brachte es wieder in gerade Richtung; aber in keinem Fall konnten diejenigen, die sich darauf befanden, durch ihre Anstrengungen dessen Lauf lenken. Das geringste Geräusch wäre durch seinen Widerhall am Ufer eine Warnung für die Indianer gewesen. Glücklicherweise war der Nebel so dicht, daß selbst die Bäume, die die abschüssigen Ufer des Flusses beschatteten, nicht mehr sichtbar waren.
»Nur Mut!« sagte Pepe. »Solange wir die Bäume am Ufer noch nicht sehen können, sind wir auf gutem Weg. Ach, wenn Gott uns gnädig noch weiterhin beschützt, so wird vielfaches Geheul an diesen jetzt so ruhigen Ufern widerhallen, wenn beim Anbruch des Tages die Indianer weder die Insel noch die, die eine Zuflucht darauf gesucht haben, wiederfinden.«
»Ja«, antwortete der alte Jäger, »du hast da einen glänzenden Gedanken gehabt, Pepe! In der Verwirrung, in der ich mich befand, wäre mir dieser Gedanke nicht eingefallen – ein so einfacher Gedanke!«
»Die einfachen Gedanken kommen dem Geist immer zuletzt; aber weißt du, was dies beweist, Bois-Rosé?« flüsterte der frühere Grenzsoldat seinem Gefährten ins Ohr. »Es beweist, daß in der Steppe die Furcht vor dem Tod schon ein ziemlich ernstes Vorurteil ist und daß es unklug handeln heißt, wenn man sich darin lange Zeit mit denen herumtreibt, die man mehr liebt als sein Leben; das ist etwas, wodurch ein Mann um alle Hilfsmittel kommen kann, die ihm sonst zu Gebote stehen. Ich sage es dir offen heraus, Bois-Rosé: Seit einiger Zeit erkenne ich dich nicht mehr.«
»Das ist wahr; ich erkenne mich auch nicht mehr«, antwortete der Kanadier mit leiser Stimme. »Und doch ...«
Bois-Rosé sprach nicht weiter, denn ein tiefes Nachdenken hatte sich seiner bemächtigt, und währenddessen schien er – wie ein Mensch, der wohl körperlich vorhanden ist, dessen Geist sich aber anderswo befindet –nicht mehr an die unbestimmten Bewegungen der schwimmenden Insel und an ihre Überwachung zu denken. Für den Jäger, der seit zwanzig Jahren in der
Weitere Kostenlose Bücher