Der Waldläufer
vereinigt hat. Was heute nicht geschieht, kann morgen geschehen; wir haben noch Zeit vor uns von jetzt bis zu dem Augenblick, wo unsere Lebensmittel ausgehen. Auf irgendeinem Punkt ans Ufer zu steigen, das hieße jetzt, da die Anzahl der Indianer sich wahrscheinlich mehr als verdreifacht hat, einem sicheren Tod entgegengehen. Der Tod würde nicht viel zu bedeuten haben – denn er ist immer das letzte Hilfsmittel, über das wir verfügen, solange wir noch ein Messer in der Hand haben. Aber vielleicht würden wir gefangengenommen, und ich schaudere bei dem Gedanken an den schrecklichen Todeskampf, der uns bevorstünde. O mein vielgeliebter Fabian, diese Indianer wollen uns nur lebendig fangen und verlängern dadurch wenigstens für mich das Glück bei dir zu sein, um einige Tage.«
Abermals herrschte Schweigen unter der bestürzten Gruppe. Dieser Gedanke, noch bei seinem Kind zu leben, war für den Kanadier das, was für den Verurteilten die Frist vor der Hinrichtung ist. Wie aber der Verurteilte im Gedanken an den furchtbaren Augenblick, der auf diese Frist folgen muß, wütend an den Eisengittern seines Kerkers rüttelt, so trat auch bald vor Bois-Rosés Einbildungskraft der Tag, wo er auf diesen Trost, so schrecklich er auch war, verzichten mußte, und er schüttelte krampfhaft einen der Stämme, aus denen das Eiland bestand. Unter dem gewaltigen Stoß zitterte die Insel, als ob sie sich von ihrem Grund losreißen wollte.
»Ach, die Hunde! Die Teufel!« rief im selben Augenblick der Spanier, der einen Ausbruch der Wut nicht unterdrücken konnte. »Seht nur!«
Ein rötliches Licht durchdrang nach und nach den Dunstschleier, der auf dem Fluß lag, und schien bei seiner Annäherung immer größer zu werden wie der Widerschein eines sich immer mehr ausdehnenden Feuers. Und – sonderbar genug! – das Feuer schwamm auf dem Wasser. So dicht auch der Nebel war, der sich aus dem Fluß erhob, dessen warme Ausdünstungen die Kühle der Nacht zusammenballte – so dicht, daß man ihn fast mit den Händen greifen konnte –, die Feuermasse, die auf dem Wasser dahertrieb, zerstreute ihn wie die Sonne die Finsternis.
Die drei Jäger hatten noch nicht Zeit gehabt, über das Erscheinen dieses plötzlichen Lichtes zu erstaunen, als sie auch schon dessen Ursache erraten konnten.
Eine lange Erfahrung während eines Lebens in der Steppe und unter den stets wiederkehrenden Gefahren, die ein solches Leben hervorruft, hatte dem Kanadier eine solche Festigkeit der Muskeln gegeben, die der Spanier noch nicht besaß. Anstatt sich durch seinen Zornausbruch fortreißen zu lassen wie Pepe, hatte Bois-Rosé seine gewöhnliche Ruhe beibehalten. Er wußte, daß eine Gefahr, wenn man ihr nur kaltblütig ins Antlitz blickt, fast schon halb überwunden ist, so schrecklich sie auch erscheinen mag; und sein kaltes Blut wurde beim Nahen der Gefahr noch kälter als gewöhnlich. »Ja«, sagte er als Antwort auf den Ausruf des früheren Grenzsoldaten, »ich sehe gerade ebensogut, was es ist, als ob die Indianer es mir im voraus gesagt hätten. Du sprachst doch eben von Füchsen, die man aus ihrer Höhle räuchert; wohlan, die Schelme wollen uns in unserer Höhle verbrennen.«
Der Feuerball, der den Fluß heruntertrieb, vergrößerte sich mit erschreckender Schnelligkeit und bestätigte die Worte des Kanadiers. Schon wurden mitten im flammenroten Wasser die Schilfbüschel und Weidenschößlinge, von denen die Insel stromauf und stromabwärts umgeben war, vom Schein des schwimmenden Feuers erleuchtet.
»Das ist ein Brander«, sagte Pepe, »mit dem sie unsere Insel anzünden wollen.«
»Gott sei Dank!« fügte Fabian hinzu. »Es ist immer noch besser, mit dem Feuer zu kämpfen, als so den Tod ohne Kampf zu erwarten.«
»Das ist wahr«, sagte Bois-Rosé, » aber das Feuer ist ein schrecklicher Gegner. Ach, wenn ich doch ein Feuer dagegen anzünden könnte; unglücklicherweise sind wir nicht in einer Prärie, und aller Vorteil ist auf Seiten dieser Teufel.«
Der Kanadier spielte auf eine Kriegslist an, die oft in den Prärien von den Indianern gegen ihre Feinde angewandt wird. In den unermeßlichen Steppen Amerikas, wo der Wind das lange Gras wie die Wellen des Ozeans hin und her wogen läßt, verbreitet sich die Flamme mit der Schnelligkeit des Pulvers. Der weiße Jäger jedoch oder der erfahrene Indianer, den der Brand zu verschlingen droht, bekämpft das Feuer durch das Feuer. Eilig zündet er selbst auf einem großen Raum dieses trockene Gras
Weitere Kostenlose Bücher