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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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Grundlinie eine fast dreimal so große Ausdehnung.
    Das waren in der Dunkelheit für den Reisenden, der von der Gabel des Flusses herkam, die hervorstechenden Züge der Landschaft.
    Die Nacht machte der Dunkelheit Platz, das bläuliche Licht des Morgens folgte der Finsternis auf den Zacken der Berge. Wie in einem verwirrten Entwurf tauchten ihre Gipfel nacheinander aus der düsteren Morgendämmerung hervor. Unbestimmte Schlaglichter drangen nach und nach in die Abgründe der sich amphitheatralisch erhebenden Hügel. Das Licht kam nur Schritt vor Schritt. Auf der Plattform des einsam stehenden Felsens waren zwei Fichten wie zwei Gespenster sichtbar, streckten ihre gewaltigen Wurzeln weit aus, und ihre gebeugten Stämme, ihre schwarzen Nadeln neigten sich über den Abgrund. Zu ihren Füßen stand aufrecht, von verborgenen Banden gehalten, das Skelett eines Pferdes, das auf seinen weißen Knochen noch den wilden Zierat trug, mit dem es einst geschmückt gewesen war. Die Bruchstücke eines Sattels umschlossen noch seine durchsichtigen Flanken.
    Das Licht der Morgendämmerung beleuchtete bald noch unheimlichere Sinnbilder: an Pfählen, die in gewisser Entfernung voneinander aufgerichtet waren, flatterten menschliche Skalpe im Morgenwinde. Diese gräßlichen Trophäen bezeichneten das Grabmal eines Kriegers aus einem Barbarenvolk. Wirklich ruhte auch ein früher durch seine Taten berühmter indianischer Häuptling auf dem Gipfel dieser natürlichen Pyramide. In seinem Grab liegend beherrschte er wie der Genius der Verwüstung diese Ebenen, wo sein Kriegsgeschrei so oft widerhallt war und die er auf dem Schlachtroß durchflogen hatte, dessen Gebeine jetzt an seiner Seite im Tau der Nacht und in der Glut des Tages bleichten. Raubvögel flogen schreiend über dieses stumme Grab, als sollte ihr Geschrei den wieder aufwecken, der hier auf ewig schlief und dessen erstarrte Hand ihnen nicht mehr blutige Feste bereiten sollte.
    Einige Minuten später färbte sich der Horizont den Nebelbergen gegenüber mit einem bleichen Licht; rosige Wolken schwebten zum Zenit. Bald darauf traf ein Sonnenstrahl, ähnlich dem ersten Funken eines entstehenden Brandes, wie ein goldener Pfeil den dichten Nebel der Sierra, und das Licht überflutete mit einer Flammendecke die Tiefen der Täler.
    Der Tag war angebrochen, aber ein Nebelmantel verhüllte noch die Hügelmasse. Dieser Nebel wurde wie ein hin und her schwankender Vorhang vom Morgenwind emporgehoben und zerstreute sich nach und nach. Dunstflocken hingen noch hartnäckig an den Blättern der Sträucher oder sprangen wie Gemsen auf den Bergen von Kamm zu Kamm. Tiefe Engpässe, an deren Eingang die Opfergaben indianischen Aberglaubens für die Geister der Berge in Menge zur Schau lagen, wurden einer nach dem anderen sichtbar und zeigten wilde Abgründe und Wasserfälle, die an ihren Seiten entlangschäumten.
    Über das Grab des indianischen Häuptlings breitete die Kaskade eine feuchte Dunstmasse und bildete hinter den durchsichtigen Gebeinen des Schlachtrosses schnell verschwindende Regenbogen. Endlich breitete sich ein enges Tal am Fuß dieser Pyramide aus, auf der das Grabmal stand; es war auf der einen Seite durch senkrechte Felsen, an denen grüne Schlinggewächse lang herunterhingen, auf der anderen durch einen See mit regungslosem Wasser begrenzt. Dieses Tal zwischen den Felsen und dem See, von einem Gürtel von Weiden mit bleichem Laub und Baumwollstauden mit offenen Hülsen umgeben, war das Val d'Or.
    Das Auge bemerkte anfänglich nur die düstere, wunderliche Umgebung, diesen mit Tannen und Nebel umkränzten Felsen, auf dessen Gipfel ein bleiches Skelett stand; die gräßlichen Trophäen von menschlichen Skalpen, herabstürzende Wasserfälle und den unter einem Mantel von Wasserpflanzen kaum sichtbaren See. Aber ein Gambusino würde bald einen reelleren Eindruck von diesem Tal gewonnen haben.
    Nichts verriet noch an diesem wüsten Ort die Gegenwart beseelter Wesen, als drei Männer, die bis dahin in dem zerrissenen Terrain nicht hatten erblickt werden können, ganz nahe beim Val d'Or zum Vorschein kamen. Alle drei schienen erstaunte, fast furchtsame Blicke um sich zu werfen.
    »Wenn der Satan irgendwo auf dieser Welt ein Absteigequartier hat«, sagte Pepe, indem er seine beiden Gefährten zurückhielt und auf die Nebeldecke zeigte, die die Bergkette bedeckte, »so muß es sich ganz gewiß in diesen wilden Schluchten befinden.«
    »Wenn es wahr ist – und man kann daran doch nicht

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