Der Waldläufer
zusammen, und sagt uns, ob wir noch weit davon entfernt sind.«
Fabian schien sich zu besinnen, denn er warf abermals einen aufmerksamen Blick um sich – auf den Kamm der Nebelberge, auf den Gipfel der Pyramide und auf den dunsterfüllten Punkt, wo sich der Fluß teilte. Diese sonderbare Landschaft war bestimmt diejenige, die man ihm so genau beschrieben hatte. Er war mit seiner Prüfung zufrieden und beantwortete die Frage des Spaniers: »Ohne Zweifel sind wir da, denn am Fuß des Grabmals des indianischen Häuptlings muß es sein, und diese wilde Verzierung beweist hinreichend, daß dieser Felsblock das Grab ist. Während Ihr mit Bois-Rosé um den Felsen herumgeht, will ich einen Blick durch diese Baumwollstauden und Weiden werfen.«
»Ich mißtraue allem, was mich an diesem geheimnisvollen Ort umgibt«, erwiderte Bois-Rosé. »Dieser Schrei, den wir eben gehört haben, beweist, daß ein menschliches Wesen gegenwärtig ist; Weißer oder Roter – wir müssen ihn fürchten. Laß mich, ehe wir uns trennen, den Boden in unserer Nähe untersuchen.«
Alle drei richteten ihre Augen, die gewohnt waren, auf dessen Oberfläche wie in einem offenen Buch zu lesen, auf den Boden.
»Was habe ich euch gesagt?« rief der Kanadier zuerst. »Hier ist der Eindruck der Füße eines Weißen, und ich möchte darauf schwören, daß er vor nicht mehr als zehn Minuten hiergewesen ist.«
Wirklich befanden sich die Spuren menschlicher Füße im Sand; einer hatte sogar den Stamm eines wilden Pertulaks niedergetreten, dessen Stengel sich nacheinander langsam wieder aufrichteten. Diese Spuren führten zu der Hecke von Baumwollstauden.
»Auf jeden Fall ist er allein«, sagte Fabian und näherte sich der grünen Einfassung.
Bois-Rosé hielt ihn zurück. »Laß mich hingehen; diese undurchdringliche Hecke kann den Feind verbergen. Doch nein«, fügte er hinzu; »der Mann, dessen Schritte hier sichtbar sind, hat nur die Zaunreben, die sich um die Bäume schlingen, auseinandergebogen, um einen Blick hineinzuwerfen.«
Bois-Rosé bog bei diesen Worten ebenfalls die Zweige und das verschlungene Netz, das sie umwickelt hatte, auseinander; aber nach einer kurzen Prüfung, deren Resultat nichts Merkwürdiges bot, kam er zurück und ließ den grünen Vorhang sich selbst wieder schließen. Der Jäger folgte den Spuren, die von da zum felsigen Hügel mit dem abgestumpften Gipfel führten; weiterhin aber wurde der Boden kalkig, bedeckte sich mit flachen Steinen, den Grabsteinen auf den Kirchhöfen ähnlich, und ließ keine Spur mehr erkennen.
»Wir wollen um diesen Felsen herumgehen«, sagte Bois-Rosé; »vielleicht sagt uns der Boden dort mehr. Komm, Pepe! Fabian, du wartest hier auf uns!«
Die beiden Jäger entfernten sich; Fabian blieb nachdenklich allein. Dieses Val d'Or, von dessen Eroberung er zur Zeit, als sein Herz noch so süße Hoffnungen nährte, geträumt hatte, dieses Val d'Or war ganz in seiner Nähe. Dieser Traum, den er sonst nur als eine Chimäre zu betrachten wagte, war jetzt etwas Wirkliches geworden; und Fabian war viel unglücklicher als damals, wo die hoffende Liebe ihm noch in seiner ersten Armut zulächelte. So ist es aber: Das Glück entflieht immer in dem Augenblick, wo man es zu ergreifen meint.
Zuweilen lauscht der Reisende in der Stille des Waldes auf die melodischen, durch die Entfernung geschwächten Töne des Cenzontlé. Er nähert sich vorsichtig der Stelle, wo, unter den Blättern verborgen, der Vogel der Wildnis nur für diese seine süßen Gesänge singt. Der Reisende hofft, dem geflügelten, menschenscheuen Sänger näher zu kommen und keinen Ton zu verlieren. Vergebliche Hoffnung! Er mag gehen, soviel er will – die Stimme des Cenzontlé bleibt ewig fern, der Vogel selbst ewig unsichtbar.
So ist es auch im Leben. Ferne Stimmen besingen das Glück; der Mensch hört es, er nähert sich – und das Glück ist nicht mehr da. Sein Leben entschwindet, indem er unaufhörlich diesen Melodien nachgeht, die stets vor ihm fliehen. Für Fabian war das Glück nicht mehr im Val d'Or; es war nirgends mehr. Keine ferne Stimme sang jetzt noch in der Einöde seines Lebens; der Wanderer hatte kein Ziel mehr zu verfolgen; er konnte nicht mehr hoffen, ein stets fliehendes, aber immer noch geliebtes Bild endlich an die Brust zu drücken.
Fabian durchlebte einen Augenblick, wie ihn Gott glücklicherweise selten im Leben schickt; in solchen Augenblicken ist alles Finsternis wie auf dem Meer, wenn das Feuer des Leuchtturms, das
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