Der Waldläufer
dem alleinstehenden Felsen. Dort mußte ohne Zweifel der Feind verborgen sein, der sie bedrohte. Die Seitenflächen der Pyramide waren, wenn auch abschüssig, doch mit Gesträuch besetzt, weshalb man sie auch ersteigen konnte. Dennoch war es immer ein gefährliches Unternehmen, denn im Nebel konnte man gar nicht ahnen, mit wie vielen Feinden sie zu tun haben würden.
Fabian wollte vorangehen, aber der kräftige Arm des Kanadiers hielt ihn zurück, während Pepe die Anhöhe schon halb erstiegen hatte. Bois-Rosé bildete nun einen Schild für sein zärtlich geliebtes Kind und folgte Pepe, nachdem er Fabian inständig gebeten hatte, nur seinen Fußstapfen zu folgen.
Indessen wogte der Nebel immer noch wie ein Helmbusch auf dem Gipfel des Felsens; zwar schwankte er unter dem Wehen des Windes unregelmäßig von einer Seite zur anderen, war aber undurchdringlich wie der Wolkenschleier, der den Blitz verbirgt. Der unerschrockene Grenzjäger jedoch stieg immer vorwärts, ohne vor dem Hinterhalt zu erschrecken, der hinter dieser Dunstmasse, die von der Luft traurig auf den Höhen hin und her wallte, verborgen sein konnte. Er verschwand bald selbst mitten im Nebel.
Fabian und Bois-Rosé verloren ihn im selben Augenblick aus dem Gesicht, wo sie ein wenig anhielten, um Atem zu schöpfen; dann klimmten sie ihren gefährlichen Pfad mit einem Herzen voll peinlicher Ungewißheit weiter hinauf. Ein Triumphgeschrei Pepes bewies, daß er glücklich und wohlbehalten oben angelangt war. Seine beiden Gefährten beantworteten seinen Ruf und setzten bald selbst ihren Fuß auf die Plattform – sie war verlassen!
In dem Augenblick, wo sie, unmutig über den geringen Erfolg und in dem dichten Nebel kaum füreinander sichtbar, sich anschickten, wieder in die Ebene hinabzusteigen, vertrieb ein plötzlicher Windstoß, der über die öden Gipfel der Hügel fegte, ungestüm den Nebel, und die drei Freunde konnten die Ebene überschauen. Rechts und links war sie das vollständige Bild der Steppe in ihrer ganzen düsteren Pracht: dürre Flächen, auf denen wirbelnde Sandsäulen einen traurigen Anblick gewährten; eine sonnenverbrannte, trockene Ebene; überall Schweigen, überall Regungslosigkeit – ausgenommen auf einem Punkt. Ziemlich weit noch von der Einfassung von Weiden und Baumwollstauden, die von der Ebene her den Zugang zum Val d'Or verdeckten, schienen vier Reiter aus dem Nebel des Flusses hervorzukommen, von dem sie fast noch ganz eingehüllt waren. Sie näherten sich, fest aneinandergeschlossen, die Büchse in der Faust; doch war die Entfernung zwischen den Neuangekommenen und dem Val d'Or noch zu groß, als daß diejenigen, die sich auf der Plattform des Felsens befanden, ihren Anzug und ihre Hautfarbe hätten unterscheiden können.
»Müssen wir etwa hier noch eine Belagerung aushalten?« sagte Bois-Rosé. »Sind es Weiße, sind es Rothäute?«
»Rothäute oder Weiße – jedenfalls sind es Feinde«, sagte Pepe.
Während die drei Abenteurer sich niederbückten, um nicht bemerkt zu werden, ging ein Mann, der für beide Parteien bis jetzt unsichtbar gewesen war, leise in den See hinein. Er bog vorsichtig die schwimmenden Blätter der Seerosen auseinander, machte aus ihren glänzenden Kelchen ein Dach über seinem Kopf und blieb unbeweglich. Der See beherbergte einen unerwarteten Gast, aber seine Oberfläche hatte ihr Aussehen nicht verändert.
Dieser Mann war Cuchillo, der schmutzige Schakal, der, schlecht beraten von seinem Geschick, auf dem Grund und Boden der Löwen jagen wollte.
41 Die Strafe des Tantalus
Als Cuchillo auf seinem atemlosen Ritt in die Nähe der Nebelberge gekommen war, hielt er abermals an. Der Bandit hatte die äußere Erscheinung der Gegend, die er schon einmal gesehen hatte, nicht vergessen, aber sein Herz war von Furcht und Freude erschüttert; das aufgeregte Blut summte in seinen Ohren und benahm seinem Auge den gewöhnlichen scharfen Blick. Er mußte einen Augenblick haltmachen, um sich zu orientieren.
Nach einigen Minuten erst konnte er ruhiger um sich blicken. Es herrschte noch vollständige Dunkelheit, als er nicht weit von der Pyramide, die sich über dem Val d'Or erhob, anlangte; die feuchten Ausdünstungen des Sees umhüllten noch das Tal und den steilen Hügel des indianischen Grabmals mit einem dichten Schleier.
Das dumpfe Grollen des Wasserfalls, dessen er sich erinnerte, wurde für ihn ein Zeichen, seiner Ungewißheit ein Ende zu machen. Er hatte nicht vergessen, daß der Wasserfall sich
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