Der Waldläufer
nicht weit von der Goldmine in einen Abgrund hineinstürzte.
Er stieg also vom Pferd, um sich einen Augenblick auszuruhen und den Tag zu erwarten. Aber kaum hatte er sich niedergelegt, als ein Gefühl des Schreckens ihn aufspringen ließ, als hätte er sich in der Nähe einer giftigen Schlange befunden. Durch einen verhängnisvollen Zufall hatte er gerade an der Stelle angehalten, wo er Marcos Arellanos ermordet hatte. Eine plötzliche Erinnerung führte auch die kleinsten Ereignisse in diesem tödlichen Kampf mit der Schnelligkeit des Blitzes wieder vor die Augen des Banditen. Cuchillo fühlte, wie ein tiefer Schrecken sich seiner bemächtigte; aber er war nur von kurzer Dauer.
Unter dem klaren Himmel Amerikas hat der Aberglaube nicht wie in unseren nebligen Ländern, wo die Ausdünstungen des Abends den Gegenständen einen phantastischen Anblick geben, der ganz natürlich zur Träumerei auffordert, seine Wohnung aufgeschlagen. Aus solcher Träumerei ist jene düstere, nordländische Poesie entstanden, die unsere Länder, die schon von der Natur genug vernachlässigt sind, mit Geistern und Gespenstern bevölkert hat, als ob die Seelen derer, die ihr ganzes Leben hindurch verdammt waren, Reif und Frost zu ertragen, sich nicht zu glücklich schätzen müßten, ihnen entronnen zu sein, um sich wohl in acht zu nehmen, ihnen jemals wieder zu trotzen.
In den amerikanischen Wildnissen fürchtet der Reisende viel mehr die Lebenden als die Toten, und Cuchillo mußte die Weißen oder die Roten zu sehr fürchten, um sich lange mit Arellanos zu beschäftigen. Der Bandit bekam bald andere Gedanken, die an die Stelle derer traten, die ihn eben aufgeregt hatten. Wir wollen damit nicht sagen, daß er wieder ruhig wurde – denn die Nähe des Goldlagers raubte ihm seine freie Urteilskraft –, aber er dachte wenigstens nicht mehr an ein Verbrechen, das sich mit allen anderen vermischte, deren er sich schuldig gemacht hatte.
Der Gedanke an Arellanos war schon längst verschwunden, als Cuchillo von den ersten Strahlen der Morgendämmerung mitten in der Trunkenheit überrascht wurde, mit der die Habgier sein Gehirn umnebelte. Obgleich er beinahe gewiß war, daß niemand seine Entfernung aus dem Lager bemerkt hatte und noch weniger ihn jemand verfolgte, so beschloß er doch, die Pyramide, die sich vor ihm erhob, zu ersteigen und vom Gipfel dieser Anhöhe aus die Steppe weithin zu überblicken.
Die beiden Tannen, deren düsteres Grün das Grab des Apachenhäuptlings bekränzte, schienen ihm wunderbar dazu geeignet, ihn den Augen der Indianer zu entziehen, wenn sich etwa zufällig solche in der Nähe befänden, und er wandte sich zum Fuß des Berges. Er konnte es jedoch nicht unterlassen, im Vorbeigehen einen zugleich gierigen und ängstlichen Blick auf das Tal mit den Goldklumpen zu werfen. Ein plötzlicher Gedanke hatte nämlich einen Augenblick lang seine Aufregung zerstreut. War die Goldmine auch immer noch jungfräulich und unberührt wie damals, wo er sie vor zwei Jahren verlassen hatte?
Ein einziger Blick beruhigte ihn. Nichts hatte sich im Aussehen des Val d'Or verändert; immer noch strahlten diese Massen des kostbaren Metalls ganze Garben von Licht aus. Der halb verdurstete Reisende erblickt nicht mit größerer Freude die Oase mit fließendem Wasser mitten in den unermeßlichen, glühenden Sandflächen; niemals hat in dem fabelhaften Zeitalter ein Faun oder Satyr auf eine im Bad unter dem verschwiegenen Schatten des Laubdachs überraschte Nymphe glühendere Blicke geworfen als Cuchillo auf die Haufen des gediegenen Goldes, das durch die Hecke von Baumwollstauden glänzte.
Jeder andere Abenteurer, den sein glücklicher Stern an diese Stelle geführt hätte, würde sich beeilt haben, soviel Gold, als er hätte tragen können, einzusammeln und mit seiner Beute zu entfliehen. Aber bei Cuchillo war wie bei dem Geizigen die Habgier eine Leidenschaft, die sich bis zum äußersten Punkt entwickelt hatte. Der Bandit hatte schon seit zwei Jahren in Gedanken diesen Schatz habgierig betrachtet; er hatte nicht gezögert, das Leben aller seiner Gefährten für ihn zu opfern und wollte sich nun nach Gefallen an dessen Betrachtung weiden, ehe er ihn plünderte.
Nachdem der Bandit einige Augenblicke der Befriedigung seines teuersten Wunsches gewidmet hatte, nahm er, seinen vorsichtigen Gewohnheiten getreu, sein Pferd beim Zügel, näherte sich rasch den Bergen und band es dort an eines von den Gesträuchen, die in einer Schlucht
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