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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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Sonne in unseren Augen zurückläßt, wenn wir einen Augenblick unverwandt in sie hineingeblickt haben. Dann ließ ihn plötzlich ein schrecklicher Gedanke erbeben: Vielleicht lauerte Oroche auf einen vorübergehenden Schlummer, um ihn zu überraschen und sich seiner zu entledigen!
    Baraja stand auf; er blickte aufmerksam um sich, aber alles war ruhig, und nur der Wind der Steppe murmelte klagende Töne in sein Ohr. »Bah!« sagte er und legte sich wieder nieder. »Oroche wird fünf Minuten auf mich warten, dann wird er nach ...« Er unterbrach seine angefangene Rede; der Luftzug ließ ihn ein sehr deutliches Wiehern hören. Nanu, dachte er, sollte etwa Oroche in diesen Bergen zurückgeblieben sein, um nicht Gefahr zu laufen, mich dort unten bis zum Jüngsten Gericht zu erwarten?
    Baraja zäumte rasch sein Pferd auf, das, besser beraten als sein Herr, das trockene Gras allen Reichtümern des Val d`Or vorzog; er warf sich in den Sattel, die Büchse in der Hand.
    Er war noch keine Minute auf dem Marsch, als er fast unter seinen Füßen ein ebenso beunruhigendes als unerwartetes Schauspiel wahrnahm. Die Stelle, wo er sich befand, war eine Brücke mit einem einzigen Bogen. Die Natur hatte sie über ein Nebenflüßchen des Hauptstromes gebaut, von dem ein Arm sich einen Weg durch die Nebelberge gebrochen hatte. Dieser Bach von geringer Breite und Tiefe verlor sich unter den Füßen Barajas, und nach einem ziemlich langen Lauf unter der Erde ergoß er sich in den See beim Val d`Or.
    Ein Kanu aus Birkenrinde kam den Bach herunter; zwei Männer saßen darin. Ein glücklicher Zufall war es ohne Zweifel für den Abenteurer, daß in dem Augenblick, wo er einen bestürzten Blick auf diese beiden Personen warf, ihr Nachen unter dem Felsenbogen verschwand. Baraja hatte jedoch Zeit, den fremdartigen Anzug dieser Unbekannten genau zu betrachten. Da man in kurzer Zeit sehen wird, daß sie eine ebenso bemerkenswerte wie schreckliche Rolle in dieser Erzählung spielen, so werden wir sie mit Muße zeichnen, sobald der Augenblick dazu gekommen ist.
    Es schien, als ob diese bis dahin so verlassene Einöde plötzlich das Rendezvous eines oder mehrerer Repräsentanten aller Menschenklassen geworden wäre, die die amerikanischen Steppen durchstreifen.
    Baraja sollte noch kein Ende seiner Bestürzung und seines Erstaunens finden. Kaum waren die beiden schweigenden Schiffer verschwunden, als eine neue Quelle des Schreckens sich vor dem Goldsucher öffnete. Beunruhigt von dem Wiehern, das er gehört hatte, blickte er rings um sich her. Es war Zeit. Mitten durch den Nebel kam ein Mann, die Büchse in der Hand, langsam auf ihn zu; die Mündung seines Gewehrs war auf seinen Leib gerichtet.
    Dieser Mann war für ihn nicht zu verkennen. Es war Oroche.
    Baraja warf sich von seinem Pferd, um der drohenden Kugel zu entgehen und selbst bequemer zielen zu können. Ein lautes Lachen seines Freundes und folgende Worte erreichten sein Ohr: »Bei Gott, Señor Baraja, Ihr seht Cuchillo von weitem so ähnlich, daß ich im Begriff war, einen Irrtum an Euch zu begehen, den ich beweint haben würde ...«
    »Bis zum Jüngsten Tag«, erwiderte Baraja ironisch. »Und vielleicht noch länger. Aber, Señor Baraja, wie wäre es, wenn wir jetzt, da wir uns als Freunde wiedererkannt haben, die Waffen beiseite legten? Was meint Ihr dazu?«
    »Sehr gern«, antwortete Baraja, der keineswegs mehr als sein Freund auf einem gefährlichen Zweikampf bestand, an dessen Stelle ein Hinterhalt später bessere Dienste leisten konnte.
    Und beide warfen die Büchsen wieder auf die Schulter und näherten sich einander; doch in einer Haltung, wie sie ein bewaffneter Friede gebietet.
    »Wer in aller Welt hätte glauben können, daß Ihr hier wärt?« sagte Oroche.
    »Und Ihr?« fragte Baraja.
    »Die Bergluft ist mir so heilsam«, erwiderte Oroche unverschämt.
    »Und mich hat ein plötzlicher Schwindel verhindert, meinen Weg fortzusetzen. Ich bin leider ... solchem Schwindel sehr ausgesetzt«, sagte Baraja mit schmerzlichem Ton.
    Die beiden würdigen Bundesgenossen waren darin einverstanden, daß jeder von ihnen die gewichtigsten Gründe gehabt hatte, sich nicht allein vom Val d`Or zu entfernen, und schworen sich aufs neue Ergebenheit auf alle Fälle. Dann teilte Baraja Oroche das seltsame Ereignis mit, von dem er eben Zeuge gewesen war.
    »Wohlan!« sagte er. »Ihr seht, daß unser eigener Vorteil es mehr als jemals verlangt, daß wir einig bleiben. Kehren wir also alle beide zum Lager

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