Der Waldläufer
Gürtel aufzubinden, der um die Arme des edlen Gefangenen geschlungen war. »Ich habe mein Wort verpfändet, daß Ihr keinen Versuch machen würdet, Euch dem Schicksal – wie es auch sein mag – zu entziehen, das Euch in den Händen jener Männer, die ein verderblicher Zufall auf unseren Weg geworfen hat, erwartet«, fügte Diaz hinzu. »Ich habe gedacht, daß Ihr die Flucht niemals gekannt habt.«
»Und Ihr habt recht daran getan, Diaz«, erwiderte Don Estévan. »Aber ahnt Ihr etwas von dem Schicksal, das diese Tollköpfe mir zugedacht haben?«
»Sie sprechen von einem zu rächenden Mord, von einer Anklage ... einem Richterspruch.«
»Ein Richterspruch?« erwiderte Don Antonio mit einem bitteren und hochmütigen Lächeln. »Man kann mich morden, aber man wird mich niemals richten!«
»Im ersteren Fall werde ich mit Euch sterben«, sagte Diaz einfach; »im zweiten ... Aber wozu nützt es, von dem zu reden, was nicht sein kann? Ihr seid an dem Verbrechen, dessen man Euch anklagt, unschuldig.«
»Ich ahne das Schicksal, das mich erwartet«, erwiderte Don Estévan, ohne auf die Beteuerung des Abenteurers zu antworten. »Der König Don Carlos I. wird einen treuen Untertan verlieren. Aber Ihr werdet Sonora wiederaufrichten; Ihr werdet zum Senator Tragaduros zurückkehren; er weiß, was er tun muß, und Ihr werdet ihn unterstützen.«
»Ach«, sagte Diaz schmerzlich, »ein solches Werk könnte nur von Euch unternommen werden. In Eurer Hand wäre ich ein mächtiges Werkzeug gewesen; ohne sie falle ich in meine Unzulänglichkeit zurück. Die Hoffnung meines Lebens erlöscht mit Euch!«
Während dieser Zeit hatten Fabian und Bois-Rosé die Stelle verlassen, wo die vorigen Szenen sich so rasch ereignet hatten. Sie waren wieder zum Fuß der Pyramide zurückgekehrt. Dort sollte die feierliche Gerichtssitzung eröffnet werden, in der Fabian und der Herzog von Armada die Rolle des Richters und des Angeklagten übernehmen sollten.
Pepe gab Diaz ein Zeichen; Don Estévan sah und begriff es.
»Es ist nicht genug, nicht zu fliehen«, sagte er; »man muß seinem Schicksal entgegengehen; der Besiegte muß dem Sieger gehorchen ... Kommt!«
Nach diesen Worten ging der spanische Señor, mit dem Stolz bewaffnet, der ihn niemals verließ, festen Schrittes zum Val d'Or. Pepe war mit seinen beiden Gefährten zusammengetroffen.
Der Anblick Don Estévans, der sich ohne Prahlerei und ohne Schwäche mit unerschrockener, ruhiger Stirn näherte, nötigte seinen drei Feinden, die sich so gut auf den Mut verstanden, einen Blick der Bewunderung ab. Dann erhob sich Fabian, um seinem edlen Gefangenen die Hälfte des Weges zu ersparen. Einige Schritte hinter dem spanischen Edelmann ging Diaz mit gebeugtem Haupt, die Seele voll düsterer Gedanken. Alles sagte ihm in der Haltung der Sieger, daß diesmal das Recht auf seiten des Stärkeren war.
»Señor Graf von Mediana, Ihr seht, daß ich Euch kenne«, sagte Fabian, der mit entblößtem Haupt zwei Schritte von dem edlen Spanier stehenblieb, während dieser es ebenfalls tat, »und Ihr wißt, wer ich bin.«
Der Herzog von Armada blieb gerade und unbeweglich, ohne seinem Neffen Höflichkeit mit Höflichkeit zu vergelten. »Ich habe das Recht, mit bedecktem Haupt vor dem König von Spanien zu stehen; ich werde vor Euch von meinem Privilegium Gebrauch machen«, erwiderte er. »Ich habe auch das Recht, nur zu antworten, wenn ich es für gut befinde, und das ist abermals ein Recht, von dem ich Gebrauch machen werde, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
Trotz seiner stolzen Antwort mußte der frühere jüngere Sohn der Familie Mediana sich erinnern, daß jetzt eine lange Zeit verflossen war, seitdem der junge Mann, der sich zu seinem Richter aufwarf, ein zitterndes Kind gewesen war, das unter seinem Blick vor zwanzig Jahren im Schloß von Elanchove geweint hatte. Der furchtsame junge Adler war herangewachsen und hielt nun ihn selbst zwischen seinen mächtigen Fängen.
Die Blicke der beiden Mediana kreuzten sich wie zwei Schwerter, und Diaz betrachtete erstaunt und nicht ohne eine Mischung von Ehrfurcht den erhabenen und anders gewordenen Adoptivsohn des Gambusinos Arellanos, der sich plötzlich so sehr über die niedere Sphäre erhoben hatte, in der er ihn vor kurzem kennengelernt hatte. Der Abenteurer erwartete die Lösung dieses Rätsels.
Die Stirn Fabians zeigte denselben Stolz wie die des Herzogs von Armada. »Gut«, sagte er; »vielleicht jedoch solltet Ihr nicht vergessen, daß hier das Recht
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