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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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Argonauten töten mußten. Die ständige Feuchtigkeit hatte die senkrechten Wände des Felsens mit einem Mantel grünen Mooses bedeckt. Unter dem Goldblock schien ein kleiner, aber durch die Wasserdünste mit einer klebrigen Schicht überzogener Vorsprung auf den Fuß zu warten, der kühn genug wäre, sich dieser gefährlichen Stütze anzuvertrauen; aber ein einzelner Mann konnte das Wagnis nicht unternehmen. Das war auch der Grund gewesen, warum sich Cuchillo zurückgezogen hatte, der eben noch vor den beiden Abenteurern seine Augen an dem Glanz des unschätzbaren Blocks weidete.
    Baraja war der erste, der sich der schreckensvollen Aufregung, die dieser schwindelerregende Anblick bei ihm hervorbrachte, entriß, denn sein Herz preßte sich bei dem Gedanken zusammen, daß der Goldklumpen jeden Augenblick in den Abgrund rollen könnte wie die reife Frucht, die vom Orangenbaum fällt. Oroche folgte bald dem Beispiel seines Gefährten, und beide standen fast zu gleicher Zeit auf. Sie wußten nicht, was sie anfangen sollten, und waren voneinander durch den Felsenbogen getrennt, aus dem rauschend und schäumend der Wasserfall hervorstürzte.
    »Nun, was habt Ihr gesehen?« fragte Baraja zuerst.
    »Und Ihr?« antwortete Oroche.
    »Einen endlosen Abgrund. Wirbelnden, aus der Tiefe emporsteigenden Nebel.«
    »Einigkeit macht stark«, wiederholte Oroche, der plötzlich seinen Entschluß gefaßt hatte.
    »Zu zweit ist man zweimal stärker.«
    »Was Ihr da sagt, ist unbestreitbar«, sagte Oroche.
    »Wohlan! Zu zweit werden wir ihn bekommen.«
    »Was?« sagte Oroche, der den Unwissenden spielte.
    »Demonio! Den Goldblock, den Ihr ebensogut wie ich gesehen habt!«
    »Aber wie es anfangen?« fragte Oroche.
    »Wir flechten unsere beiden Lassos wie ein Bild unserer Freundschaft zusammen; einer von uns läßt sich längs der Felsenwand hinunter und raubt dem Abgrund seinen Schatz«, sagte Baraja mit flammenden Augen.
    »Wer von uns beiden wird sich opfern?«
    »Das Los wird darüber entscheiden, Señor Oroche, und wenn Ihr es seid ...«
    »Wenn ich es bin, so werdet Ihr mich fallen und zerschmettern lassen!«
    Baraja zuckte mit den Schultern. »Ihr seid ein Einfaltspinsel, mein teurer Oroche; ein Freund läßt nicht mit seinem Freund zugleich einen dreifach königlichen Schatz fallen. Den Freund ... ich will nicht dagegen streiten; aber den Schatz ... niemals!«
    »Mein teurer Baraja, Ihr treibt Euren Scherz mit den ehrwürdigsten Dingen – sogar mit der Freundschaft«, erwiderte Oroche mit so großer Zerknirschung, daß Baraja mehr als jemals darüber erschrocken war.
    Bald jedoch gaben die beiden Abenteurer der Trunkenheit nach, die sich ihrer bemächtigte: Sie hörten auf, an Schlauheit miteinander zu wetteifern, und beschlossen, mit vereinten Kräften den Goldklumpen seiner Felseneinfassung zu entreißen. Baraja zog aus seiner Tasche ein Spiel Karten; man kam überein, daß der Gewinnende das Recht hätte, die Rolle, die ihm die beste schiene, zu wählen. Dieses Recht fiel Oroche zu.
    Außer daß Barajas Worte ihn überzeugt hatten, dachte der Gambusino auch, daß der Besitz des Schatzes ein allmächtiger Talisman gegen die Verderbtheit seines Gefährten sei, und er wählte wider Erwarten des letzteren die gefährliche Rolle, sich, über dem Abgrund schwebend, hinunterzulassen.
    Nachdem die beiden Schelme sich geeinigt hatten, lösten sie nach dem Vorschlag Barajas ihren Lasso vom Sattelknopf, den jeder mexikanische Reiter, dort festgebunden, bei sich führt. Die beiden Leinen wurden so zusammengeflochten, daß sie ein noch schwereres Gewicht als das eines Mannes tragen konnten. Das eine Ende wurde um Oroches Leib gebunden und das andere mehrmals um den Stamm einer jungen Eiche geschlungen, die in einer Felsenspalte wurzelte; Baraja hielt es in der Hand. Wirklich wäre ohne die Stütze, die der noch schwache Stamm der Steineiche gewährte, Barajas Rolle ebenso gefährlich gewesen wie die Oroches, dessen Schwere ihn leicht trotz seines Widerstands zuerst in den Abgrund hätte ziehen können.
    Nachdem das doppelte Seil unter seinen Armen fest um die Brust gebunden war, fing Oroche an, langsam hinabzusteigen, indem er sich an den Vorsprüngen des Felsens festhielt und sich mit seinen Füßen in den Spalten stützte.
    Dumpfer Lärm stieg aus der Tiefe des Abgrunds herauf; unterirdische Stimmen schienen ihn zu rufen; die Anziehungskraft des Unermeßlichen schien sich des Abenteurers zu bemächtigen. Aber die Habgier sprach stärker in

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