Der Waldläufer
leidenschaftlichen Haß zu unterdrücken, den der Anblick des spanischen Señors in ihm erregte, weckten in dem letzteren eine düstere Ahnung. Ein Schauder überlief Don Antonio; aber er schlug die Augen nicht nieder, und stark in seinem unbesieglichen Stolz erwartete er mit anscheinender Ruhe, daß Pepe das Wort ergreife.
»Wahrhaftig!« sagte dieser und strengte sich vergeblich an, einen spöttischen Ton anzunehmen. »Lohnte es sich wohl der Mühe, mich zur Thunfischerei an die Küsten des Mittelmeeres zu schicken, um zuletzt dreitausend Meilen von Spanien mir und dem Neffen zu begegnen, dessen Mutter Ihr ermordet habt? Ich weiß nicht, ob Don Fabian von Mediana Lust hat, Euch zu begnadigen. Was mich betrifft«, fügte er hinzu, indem er den Kolben seiner Büchse auf dem Sand erdröhnen ließ, »so habe ich geschworen, daß ich es nicht tun werde.«
Fabian warf Pepe einen gebieterischen Blick zu, der ihm einzuschärfen schien, seinen Willen dem seinigen unterzuordnen, und wandte sich dann an den Spanier. »Señor von Mediana, Ihr steht hier nicht vor Mördern, sondern vor Richtern, und Pepe wird es nicht vergessen!«
»Vor Richtern?« sagte Don Antonio. »Ich erkenne nur meinen Pairs das Recht zu, mich zu richten, und verwerfe als solche einen Flüchtling aus dem Presidio und einen Bettler, der einen Titel in Anspruch nimmt, auf den er kein Recht hat. Ich sehe hier keinen anderen Mediana als mich und habe nichts zu antworten.«
»Und dennoch werde ich Euer Richter sein«, erwiderte Fabian. »Aber ein unparteiischer Richter, denn ich nehme Gott zum Zeugen, dessen Sonne auf uns niederstrahlt – mein Herz kennt von diesem Augenblick an weder Bitterkeit noch Haß gegen Euch.«
Es lag so viel Ehrenhaftigkeit und überzeugende Kraft in dem Ton, mit dem Fabian diese Worte aussprach, daß Medianas Antlitz plötzlich sein düsteres Mißtrauen verlor. Die Hoffnung flog wie ein Blitz darüberhin, denn der Herzog von Armada erinnerte sich, daß er vor dem Erben stand, den sein Stolz einen Augenblick beweint hatte. Seine Stimme klang weniger hart, als er sagte: »Welchen Verbrechens bin ich denn angeklagt?«
»Ihr sollt es erfahren«, antwortete Fabian.
45 Das Lynchgesetz
Es gibt an den amerikanischen Grenzen ein schreckliches Gesetz. Es ist nicht gerade darum schrecklich, weil der einzige Artikel sagt: »Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut«; denn die Anwendung dieses Grundsatzes ist für den, der den Lauf der Dinge hier auf Erden beobachtet, in allen Akten der göttlichen Vorsehung sichtbar. »Wer das Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen«, sagt schon das Evangelium. Aber das Gesetz der Steppe ist schrecklich durch den Schein einer ehrfurchtgebietenden Gesetzlichkeit, mit der es sich zu umgeben den Anschein hat.
Dieses Gesetz ist schrecklich; nicht nur wie alle blutigen Gesetze dadurch, daß diejenigen, die es anwenden, eine Macht in Anspruch nehmen, die ihnen nicht verliehen ist, sondern dadurch, daß die dabei Beteiligten sich zu gleicher Zeit als Richter aufwerfen, von der Strafe entweder freisprechen oder den Urteilsspruch vollstrecken. Man nennt es das Lynchgesetz oder das Gesetzbuch des Lynch.
Mitten in den Steppen, die an die Grenzen der Vereinigten Staaten stoßen, vollziehen es die Weißen untereinander, die Indianer gegen die Weißen, die Weißen gegen die Indianer mit unerbittlicher Strenge. Die zivilisierte Gesellschaft hat seine Anwendung gemildert und es nur noch in der Todesstrafe in seiner Ursprünglichkeit bestehen lassen; aber das Barbarentum der Steppe läßt dieses Gesetz der ersten Zeitalter der Welt immer noch ohne Einschränkung in Kraft treten.
Ist hier nicht der Ort, zu bemerken, daß dieser Berührungspunkt der Zivilisation mit der Barbarei ein Schandfleck für die erstere ist, der verschwinden muß? Die Ehre der Zivilisation verlangt es. Die Gesellschaft hat Gesetze zum Schutz für alle aufgestellt. Der Mensch, der bei uns sich selbst Gerechtigkeit verschafft, verletzt die Gesetze und fällt dem Richterspruch derer anheim, denen die Gesellschaft das Amt erteilt hat, zu verurteilen und zu strafen.
»Man freut sich im Himmel«, heißt es im Evangelium, »mehr über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte.« Warum sollen die menschlichen Gesetze nicht vom Abglanz der göttlichen bestrahlt werden?
Aber heutigen Tages ist die Freiheit das einzige Gut, das die Gesellschaft dem zurückerstatten kann, dem ein Vergehen oder das Unglück diese geraubt
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