Der Waldläufer
dem Capitan der Grenzjäger von Elanchove an der Küste der Biskaya getroffen war. Ich will Euch nicht erzählen« – bei diesen Worten flog ein Lächeln über Pepes Lippen –, »wie wir mit Flintenschüssen von einer Küste verjagt wurden, wo wir als Freunde gelandet waren. Die Erklärung wird genug sein, daß, als wir unser Schiff wieder zu erreichen suchten, Kindergeschrei, das aus der Tiefe des Ozeans selbst hervorzukommen schien, meine Aufmerksamkeit erregte. Dieses Geschrei kam aus einem verlassenen Nachen. Ich ruderte an ihn mit Gefahr meines Lebens heran, denn ein lebhaftes Feuer war auf diesen Nachen gerichtet.
In diesem Kahn schwamm eine ermordete Frau in ihrem Blut. Die Frau war tot; an ihrer Seite lag ein kleines Kind im Sterben. Ich nahm das Kind mit; dieses Kind ist der hier gegenwärtige Mann.« Er zeigte auf Fabian. »Ich habe das Kind mitgenommen; ich habe die ermordete Frau auf das Ufer gelegt. Ich weiß nicht, wer dieses Verbrechen begangen hatte; ich habe nichts weiter zu sagen.« Nach diesen Worten bedeckte sich Bois-Rosé, schwieg und setzte sich.
Eine feierliche Stille folgte dieser Erklärung. Fabian senkte einen Augenblick seine blitzenden Augen auf den Boden und richtete sie dann wieder ruhig und kalt auf den Grenzjäger, an den jetzt die Reihe zu sprechen gekommen war. Fabian stand auf dem Gipfel seiner schrecklichen Rolle, und in seinem Ernst, in der Haltung des jungen Mannes in Lumpen lebte der ganze Adel eines Geschlechts wieder auf, lag die ganze Leidenschaftslosigkeit eines Richters. Er warf Pepe einen so gebieterischen Blick zu, daß der wilde Jäger nicht umhin konnte, diesem, zu gehorchen. Der Grenzjäger erhob sich und trat zwei Schritte vor. Auf seinem Antlitz ließ sich ebenfalls der feste Entschluß lesen, nur nach seinem Gewissen zu reden. »Ich verstehe Euch, Graf von Mediana«, sagte er, sich an Fabian wendend, der in seinen Augen nur allein das Recht hatte, diesen Titel zu führen; »ich werde vergessen, daß der hier gegenwärtige Mann mich lange Jahre unter dem Abschaum der Menschheit in einem Presidio hat zubringen lassen. Wenn ich einst vor Gott erscheinen werde, mag er mir die Worte, die ich jetzt sagen will, wiederholen; ich werde sie hören und nicht bedauern, sie ausgesprochen zu haben.«
Fabian machte eine Gebärde der Zustimmung.
»Im Jahre 1808«, sagte Pepe, »war ich noch Grenzjäger oder königlicher Mikelet in spanischen Diensten. Es war eine Novembernacht; ich war auf Posten an der Küste Elanchoves; drei Männer kamen von der Seeseite und betraten die Meeresküste.
Der Führer, der uns befehligte, hatte einem von ihnen das Recht verkauft, an einer verbotenen Küste zu landen. Ich muß mir den Vorwurf machen, der Mitschuldige dieses Mannes gewesen zu sein; ich habe von ihm den Preis für meine schuldbeladene Schwäche empfangen. Am folgenden Tag hatte die Gräfin von Mediana mit ihrem kleinen Sohn nachts ihr Schloß verlassen. Die Gräfin war ermordet worden, der junge Graf erschien nicht wieder. Nicht lange darauf stellte sich der Onkel des Kindes ein; er forderte die Güter und Titel seines Neffen für sich; alles wurde ihm übergeben. Ich hatte geglaubt, mich nur einer Intrige verkauft zu haben – ich hatte einen Mord unterstützt!
Ich habe den neuen Grafen von Mediana dieses Verbrechens vor den Menschen angeklagt. Fünf Jahre im Presidio von Ceuta sind die Belohnung meiner Kühnheit gewesen. Heute, fern vom Tribunal dieser bestochenen Richter, im Angesicht Gottes, der uns sieht, klage ich wie ehemals den unrechtmäßigen, hier gegenwärtigen Inhaber des Namens Graf von Mediana des Mordes der Gräfin an. Ich habe nichts weiter zu sagen. Möge der Mörder mich mit Lügen strafen.«
»Ihr hört es«, sagte Fabian. »Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu erwidern?«
In dem Augenblick, wo Fabian diese Frage beendete, ließ sich ein Angstgeschrei von der Seite her vernehmen, wo der Wasserstrahl sich bogenförmig in den Abgrund stürzte. Alle blickten sogleich nach dieser Richtung hin, und hinter dem durchsichtigen Schleier des Wasserfalls schien eine menschliche Gestalt einen Augenblick über dem Abgrund zu schweben und dann als dunkle Linie hinabzustürzen.
Wenn die Zuschauer dieser schrecklichen Episode das Dasein des Goldblocks gekannt hätten, so würden sie ihn jetzt nicht mehr an der Stelle gefunden haben, wo der Felsen ihn so lange Zeit festgehalten hatte. Er war verschwunden, und derjenige, der ihn trug, war mit ihm vom Abgrund verschlungen.
Weitere Kostenlose Bücher