Der Waldläufer
verschwunden war. Zur selben Zeit heulten Wölfe auf verschiedenen Seiten der Ebene.
»Das sind die Indianer«, sagte Bois-Rosé; »sie haben die Wölfe beschäftigt gesehen, Reste des Pferdes dort unten zu zerreißen, und ahmen ihre Stimme nach, um einander Nachricht zu geben! Aber diese Teufel können alte Jäger, wie wir sind, nicht täuschen!«
49 Baraja kommt aus dem Regen in die Traufe
Um die Ursache und die Beschaffenheit der Gefahr, die die drei Jäger bedrohte, zu erklären, müssen wir auf den Augenblick zurückkommen, wo der unglückliche Oroche, über dem Abgrund schwebend, den eben dem Felsen entrissenen Goldblock an sich preßte und die Furcht, eines schrecklichen Todes zu sterben oder auf die Beute in seinen Händen verzichten zu müssen, ihn fast besinnungslos machte. Baraja seinen Schatz zu übergeben, hieß, ihm sein Leben zu geben; sein eigenes Herz sagte ihm, daß er an seiner Stelle das Gold genommen und den Mann hätte fallen lassen; er zog es darum vor, den Gegenstand der wilden Gier seines Gefährten mit sich in den Abgrund hinabzunehmen.
Dieser hatte unerbittlich die Schnüre des Seils nacheinander zerschnitten, indem er sein schreckliches Geschäft nur mit wütendem Begehren und flehentlichen Verwünschungen unterbrach. Die letzte Schnur, die den Gambusino noch schwebend erhielt, war von selbst gerissen; es war also wohl der Körper Oroches, den die Jäger in dem durchsichtigen Schleier des Wasserfalls wie eine schwarze Wolke hatten herabstürzen sehen.
Ganz entsetzt von dem, was er eben selbst getan hatte – nicht so sehr über den Mord, den er begangen hatte, als über den Verlust des Goldblocks –, warf Baraja einen bestürzten Blick in die Tiefe des Abgrunds. Aber es war zu spät; der Abgrund gab den Raub nicht zurück, den er verschlungen hatte. Er grollte wie ein unersättliches Ungeheuer, und das Auge des Elenden erblickte nur dichte Finsternis.
Zum erstenmal empfand Baraja schmerzlich die vollständige Einsamkeit, in der ihn Oroche zurückließ. Mit ihm verschwand alle Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Kampfes mit den wirklichen Besitzern des Val d'Or. Er hatte wohl den Gedanken gehabt, ihren Abmarsch abzuwarten; aber außer daß nichts vom nahen Zeitpunkt dieses Abmarsches zeugte, ließ ihn auch der unersättliche Durst nach Reichtum, der sich seiner bemächtigt hatte, nicht mehr länger warten. Eine dumpfe Wut mischte sich in seine Ungeduld; die drei Jäger waren deren Gegenstand, und er beschloß – selbst auf Kosten seiner Habgier –, diejenigen aus ihrer Stellung zu vertreiben, die sich so anmaßend zu alleinigen Herren des Val d'Or erklärt hatten.
Die wechselnde Heftigkeit der seelischen Leidenschaften dieser beiden Taugenichtse haben wir verfolgen müssen, denn sie allein hatten für die Hauptpersonen dieser Erzählung die größten Gefahren heraufbeschworen, in denen sie jemals schwebten.
Bis zu diesem Augenblick war Baraja in so hohem Grad verblendet gewesen, daß er Oroches Gegenwart als seinen Interessen nachteilig angesehen hatte; nun jedoch beschloß er endlich, besser von seiner Habgier beraten, das Lager aufzusuchen und Verstärkung zu holen. In dieser Beziehung hatte er einen Mittelweg eingeschlagen. Er wollte nämlich seine Entdeckung höchstens fünf oder sechs Abenteurern mitteilen und sich mit ihnen heimlich entfernen; die anderen mochten sich dann, so gut sie konnten, selbst aus der Verlegenheit ziehen.
Zwei Hindernisse, an die er nicht gedacht hatte, sollten diesen Entschluß unausführbar machen: zuerst die Zerstörung des mexikanischen Lagers und dann Diaz' Gegenwart, dessen Tod er schon beweint zu haben hoffte, der aber, wie wir gesehen haben, wieder zu Pferd gestiegen war, um an der Stelle Don Estévans das Kommando der Expedition zu übernehmen.
Es war schon ziemlich spät, als Baraja sich entschlossen hatte, das Val d'Or für einen Augenblick zu verlassen. Er verfolgte ganz nachdenklich den Weg, den er am Morgen mit Don Estévan, Oroche und Diaz gekommen war, ohne auch nur im entferntesten zu ahnen, daß der letztere dicht hinter ihm galoppierte.
Wir haben wohl kaum hinzuzufügen, daß es ihm auf einem neuen Umweg durch die Nebelberge leicht gewesen war, die Ebene zu erreichen, ohne von den beiden Jägern oder von Diaz bemerkt zu werden. Dies trug sich fast zur gleichen Zeit zu, wo der Vernichtungskampf der Mexikaner begann. Die Nacht war schon angebrochen, als er, ungefähr eine Meile vom Lager entfernt, das Knattern eines
Weitere Kostenlose Bücher