Der Waldläufer
Gewehrfeuers hörte. Baraja horchte unruhig und fühlte, wie kalter Schweiß plötzlich seine Stirn bedeckte. Bald verdoppelte sich das Gewehrfeuer.
Baraja hielt voll Bestürzung an. Vorgehen oder Zurückweichen war gleich gefährlich; da es aber nach Lage der Sache vielleicht gefährlicher war, vorzugehen, so wählte Baraja den Rückzug. Er stand eben im Begriff, seinen Entschluß auszuführen, als er zu seiner Bestürzung den widerhallenden Galopp eines Pferdes hinter sich vernahm, was seine Befürchtungen verdoppelte. Ein Anruf, der aus der Finsternis zu ihm drang, den abgemessenen Schritt des Pferdes übertönend, steigerte seine Befürchtung bis zum Schrecken.
Diese Stimme war Pedro Diaz' Stimme. Er konnte sich gar nicht mehr darin täuschen; sie scholl in sein Ohr: »Wenn ich mich nicht täusche, so ist das Oroche?«
Für Baraja war das die Stimme eines Toten, der einen anderen rief. Der Elende dachte in seiner Verwirrung gar nicht daran, daß Diaz ihn in der Dunkelheit für Oroche ansah, und sprengte vorwärts.
Darauf wurde der Galopp des Pferdes hinter ihm schneller und die Stimme drohender. Baraja floh nun trotz des Gewehrfeuers noch eiliger in der Richtung zum Lager. Es kam indessen ein Augenblick, wo die Verfolger, die die dem Blutbad im Lager entronnenen Flüchtlinge ringsum niedermetzelten, einen so schreckenerregenden Anblick darboten, daß Baraja keine Furcht mehr vor den Toten hatte und sein Pferd umwandte.
Übrigens haben wir schon gesagt, daß die Mexikaner nicht lange abergläubisch sind. Das zufällige Zusammentreffen mit Diaz, den er schon seit dem Morgen getötet glaubte, hatte seine schon durch den Mord an Oroche erschütterten Geisteskräfte hart getroffen. Der Anblick der Indianer hatte ihn wieder an die Wirklichkeit dieser Welt erinnert.
Unglücklicherweise befand sich Baraja, als er kehrtmachte, Diaz gerade gegenüber, den seine Flucht am Morgen nicht gerade günstig für ihn gestimmt hatte. »Feigling!« rief Diaz, indem er ihm den Weg versperrte, »du wirst nicht zweimal in meiner Gegenwart fliehen!« Im selben Augenblick umringten die Apachen die beiden Reiter, und Baraja wurde sehr gegen seinen Willen gezwungen, an dem tödlichen Kampf teilzunehmen, den er gerade vermeiden wollte.
Das waren die beiden Reiter, deren heldenmütige Verteidigung die noch im Lager kämpfenden Mexikaner gesehen hatten. Diaz hatte den Händen eines Indianers die Streitaxt entrissen und bediente sich dieser mit schrecklichem Erfolg. Er war es auch, den wir zuletzt den Feinden entkommen sahen, die zu zahlreich waren, als daß er die Flucht nicht hätte versuchen sollen; und der Gefangene, der mit Triumphgeschrei begrüßt worden war; der Weiße, der am Baum festgebunden den Tod erwartete, war Baraja, gegen den die Vorsehung sich wahrlich nicht ungerecht erwies. So weit also hatten die schlauen Berechnungen Barajas endlich geführt, daß er sich eng an den dornigen Stamm eines Eisenholzbaumes gefesselt und mitten in einer Art von höllischem Rundtanz erblickte, der dem Martertod vorangeht.
Eine schreckliche Buße sollte nun für den Mörder Oroches beginnen. Der Unglückliche, dem die düsteren Erzählungen des alten Benito wieder einfielen, begriff nun, daß er in die Hände von Feinden gefallen war, die noch unbarmherziger waren, als er selbst sich gegen den Gambusino gezeigt hatte, und daß jegliche Gnade – sogar ein Tropfen Wasser, um seinen Durst mitten in den Martern zu löschen – ihm verweigert werden würde.
Baraja beneidete in der Angst seines Herzens das Schicksal seines Gefährten, den er so unmenschlich seiner unersättlichen Habgier geopfert hatte. Oroche, schwebend über dem Abgrund, die verstörten Augen auf das Seil gerichtet, das sich bei jedem Schnitt seines Messers krachend dehnte, erschien dem Elenden jetzt im Vergleich mit ihm auf Rosen gebettet, während er schaudernd bedachte, daß sein eigener qualvoller Tod ebenso viele Stunden dauern würde, als der Oroches Minuten gewährt hatte. Oroche lag wenigstens nach seinem Tod wie ein orientalischer König mit seinem Schatz in der Tiefe seines feuchten Grabes, während Baraja nicht einmal den kleinsten Teil von all dem Gold bei seinem Tod liebkosen konnte. Der Abenteurer mußte die Richtigkeit jener unerbittlichen Logik anerkennen, die im Leben hier auf Erden bestimmend wirkt und die will, daß aus dem Bösen immer das Böse entsteht, während sie ebenfalls aus dem Guten immer das Gute hervorgehen läßt.
Vielleicht würde es
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