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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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werden.«
    Baraja konnte all diese schrecklichen Einzelheiten fast nicht mißverstehen, denn ausdrucksvolle Gebärden gaben ihm die Erklärung davon. Dann trat für Baraja ein Augenblick der Ruhe ein, da die Indianer den Skalptanz wiederaufnahmen, der sich von einem Tanz in der Auvergne dadurch unterschied, daß er nur von Dämonen ausgeführt zu sein schien. Geheul anderer Art als dasjenige, das die Freuden und die Schmerzen der Indianer zu begleiten pflegt – denn der Wilde, das grausamste Tier der Steppe, kann in der Freude wie im Schmerz nur heulen –, ließ sich bald vernehmen. Es war dies ein Geheul der Ungeduld, das diese brüllenden Tiger ausstießen.
    Darauf stand der verwundete Häuptling, der mit Antilope auf dem Gipfel der Anhöhe geblieben war, langsam auf, um seinen Kriegern zu verkünden, daß der Augenblick gekommen sei, wo sie anfangen könnten, ihre Beute zu zerreißen.
    Aber Barajas Stunde war noch nicht gekommen; er hatte bis jetzt nur eine moralische Buße erduldet. Gerade als der Schwarze Falke das schreckliche Schauspiel beginnen lassen wollte, trat ein unerwartetes Ereignis ein, das das Zeichen dazu verschob.
    Ein Krieger, dessen Anzug, obgleich indianisch, doch in keinem Punkt dem der Apachen glich, erschien plötzlich im Lichtkreis, den das Feuer der Wagen bildete. Sein Erscheinen überraschte jedoch niemand; nur der Name El Mestizo ging von Mund zu Mund. Der Unbekannte grüßte die versammelten Indianer ernst mit der Hand und ging auf den Gefangenen zu. Die Flamme erleuchtete Barajas Züge hell genug, um dem Neuangekommenen die tiefe Blässe, die sie bedeckte, zu zeigen. Sein Gesicht drückte eine große Verachtung ohne die geringste Mischung von Mitleid aus; Baraja jedoch machte eine Bewegung des Erstaunens. Er hatte die geheimnisvolle Person wiedererkannt, die er im Lauf des Tages schweigend in ihrem Rindenkanu auf dem Strom in den Nebelbergen entlangrudern gesehen hatte.
    El Mestizo redete Baraja englisch an – was dieser aber nicht verstand –, dann auf französisch, endlich auf spanisch.
    Nun stieß Baraja einen Freudenruf aus. »Oh«, rief er, »wenn Ihr mich rettet, so will ich Euch so viel Gold geben, wie Ihr tragen könnt!«
    Baraja hatte diese Worte mit einem so überzeugenden Ausdruck gesprochen, daß der Fremde – wir können sagen der Indianer, denn er schien mehr der indianischen als der weißen Rasse anzugehören – davon lebhaft getroffen schien. Sein düsterer Gesichtsausdruck leuchtete von einem Widerschein gieriger Freude. »Wahrhaftig?« sagte er, während seine Augen funkelten.
    »O Señor«, fuhr Baraja, die Hand ringend, fort, »so gewiß, als ich hier unter schrecklicher Todesmarter sterben werde, wenn Eure Dazwischenkunft mich nicht retten kann. Hört! Ihr werdet mit mir kommen; Ihr werdet zehn, zwanzig, dreißig Krieger, wenn Ihr wollt, mitnehmen, und wenn ich Euch morgen beim ersten Tageslicht nicht vor das reichste Goldlager der Welt stelle – wohlan, so sollt Ihr mich mit den schrecklichsten Martern quälen; noch schrecklicher womöglich als diejenigen, die mich hier erwarten!«
    »Ich will es versuchen«, sagte der Unbekannte mit leiser Stimme. »Sagt nichts weiter, denn die Indianer – wenn sie sich auch nicht viel aus dem Gold der Weißen machen – dürfen doch nicht wissen, welchen Vorschlag Ihr mir macht. Still! Man hört uns!«
    Der Kreis der Wilden, die ungeduldig waren, ihr Fest zu beginnen, schloß sich in der Tat mit dumpfem Murren enger um sie herum.
    »Gut«, fügte der Unbekannte mit lauter Stimme in indianischer Sprache hinzu, »ich werde dem Häuptling die Worte des Gefangenen mit weißer Haut ins Ohr sagen.« Mit diesen Worten warf der geheimnisvolle Unbekannte einen gebieterischen Blick im Kreis umher, der die Blutgierigen zurückweichen ließ, und näherte sich dem Schwarzen Falken. Als er den Gipfel der Anhöhe, wo der Häuptling saß, erstiegen hatte, rief er: »Daß kein Indianer den Gefangenen anrührt, bis die beiden Häuptlinge ihre Besprechung miteinander beendet haben!«
    Ein Strahl von Hoffnung leuchtete in den Augen Barajas, und während seine Henker einen Blick blutgieriger Ungeduld auf ihn warfen, fühlte der Unglückliche, der das Antlitz dem Mann zugewandt hatte, von dem er eine Rettung erwartete, wie sein Herz bald vor Freude klopfte, bald vor Furcht stillstand. Mitten in einer Flut von Ängsten empfand Baraja all jene verzehrenden Gefühle, die im Lauf einiger Stunden das Haupt eines Mannes bleichen können. Der Mörder

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