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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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weniger Verbrecher unter den Menschen geben, wenn sich mit der Furcht vor den menschlichen Gesetzen, deren Wachsamkeit man immer zu betrügen hofft, die Furcht vor der Strafe in einer anderen Welt verbände und die Lehre von der durch die Vorsehung zuerkannten Strafe der sicher treffenden Vergeltung und worüber Leichtgläubige sich lustig machen können, als Ergänzung der religiösen Erziehung Aufnahme fände. Wieviel Unglück trifft uns in der Tat, dessen Quelle uns unerklärlich erscheint, das aber nur eine Buße ist! Heißt es nicht: »Es soll dir geschehen, wie du anderen getan hast?« –
    Der Feuerschein der verbrannten Wagen erleuchtete die Ebene, und man konnte dabei den in seinen Banden zusammengesunkenen, von Todesangst ergriffenen Gefangenen erblicken, dessen zitternde Füße nur der Fesseln halber nicht unter der Last seines Körpers zusammenbrachen. Seine Buße begann schon vor der Marter, und er litt ein ebensolches moralisches Märtyrertum wie sein Schlachtopfer. Es befand sich nicht eine einzige Fiber an seinem ganzen Leib, die nicht beim Anblick der wilden Gesichter, die über den Todeskampf des Bleichgesichts frohlockten, schmerzlich erzitterte.
    In diesem schrecklichen Augenblick hätte Baraja gern mit allen Reichtümern des Val d'Or die Kenntnis einiger vorhergegangener Tatsachen bezahlt: nämlich die Kenntnis vom Haß des indianischen Häuptlings mit der zerschmetterten Schulter, der eben den Befehl zu seiner Todesmarter geben wollte, gegen die drei Jäger, deren Zufluchtsort er kannte. Aber er wußte nichts davon, und auch der Schwarze Falke ahnte ebensowenig als der Läufer, daß der Gefangene ihre Krieger zu denen hätte führen können, deren Spur sie verloren hatten. Unterdessen verwandelte sich, in der Erwartung, daß der Schwarze Falke seinen Kriegern das Zeichen zum Beginn des Festes geben sollte, das von den Wagen abgerissene und im Feuer rotgeglühte Eisenwerk in Folterwerkzeuge. Diejenigen, die sich nicht dergleichen hatten verschaffen können, spitzten Pfähle zu oder schliffen ihre Messer.
    Nach dem vollständigen Sieg, den die Indianer eben erfochten hatten, mußte die Todesmarter eines Gefangenen den Freuden des Tages die Krone aufsetzen; die dem alten Benito am Tage vorher entfallenen Worte klangen wie eine schreckliche Prophezeiung in den Ohren Barajas: »Wenn das Unglück wollte«, hatte er zu ihm gesagt, »daß Ihr in ihre Hände fielt, so bittet Gott nur, daß die Apachen an diesem Tag lustiger Laune sind, und Ihr werdet dann eines zwar schrecklichen, aber wenigstens sehr kurzen Todes sterben.« Auch konnte der traurige Baraja sich nicht verhehlen, daß die Indianer an diesem Abend erschreckend lustig waren; ebensowenig, wie er vergessen konnte, daß diese kurze Todesmarter fünf oder sechs Stunden – zuweilen länger, niemals aber kürzere Zeit – dauerte.
    Ein Indianer mit wildem Gesicht näherte sich zuerst dem Schlachtopfer und sagte: »Die Bleichgesichter sind geschwätzig wie der Papagei, sobald sie in großer Anzahl beieinander sind; und wenn sie am Marterpfahl stehen, sind sie stumm wie die Salme in den Wasserfällen. Wird der Weiße es wagen, seinen Todesgesang anzustimmen?«
    Baraja verstand ihn nicht, und ein dumpfer Seufzer war seine einzige Antwort.
    Ein anderer Indianer näherte sich dem Banditen. Eine breite, vom Dolch eines Weißen herrührende Wunde lief quer über seine Brust von einer Schulter zur anderen; das Blut strömte noch reichlich trotz des angelegten Verbandes aus Baumrinde. Der Apache tauchte seinen Finger in sein eigenes Blut, bezeichnete auf dem Gesicht Barajas die Grenzlinien von der Stirn bis zum Kinn und sagte: »Diese ganze Seite des Gesichts – die Hälfte der Stirn, das Auge und die Wange – gehören mir! Ich bezeichne sie im voraus für mich; ich allein werde das Recht haben, sie dem Weißen lebendig abzureißen.«
    Und da Baraja diese schreckliche Drohung ebensowenig verstand, so machte sie ihm der Indianer mit Hilfe einiger spanischer Worte und mit einem ausdrucksvollen Zeichen seines Messers vollständig klar.
    Das Blut erstarrte in den Adern des Unglücklichen.
    Von dem Beispiel angespornt, trat ein dritter Indianer aus dem furchterregenden Kreis hervor, der sich um den Gefangenen gebildet hatte. »Der Skalp soll mir gehören!« sagte er.
    »Dann werde ich allein das Recht haben«, fügte ein vierter hinzu, »auf den skalplosen Schädel das siedende Fett zu gießen, das wir von den Leichen seiner Brüder erhalten

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