Der Waldläufer
ausdrückte. Er fühlte selbst das ganze Gewicht einer mit einem glühenden Charakter unvereinbaren Untätigkeit. Die Rückkehr eines Vaqueros mit der Nachricht, daß eine Tränke und eine zahlreiche Schar von wilden Pferden entdeckt worden sei, war demnach eine Gelegenheit, die er eifrig ergriff, um Dona Rosarita Zerstreuung zu verschaffen und seine Jagdlust zu befriedigen. Die Gelegenheit war um so günstiger, als die Tränke sich entfernter von der Hacienda befand. Es war kein Ausflug in die Umgebung mehr – es war eine Reise von vier Tagen.
Seit Jahren hatte man in dieser Gegend keine Spur von Indianern bemerkt. Man hatte also nur einige ermüdende Tagemärsche zu bestehen, die reichlich durch das aufregende Schauspiel vergolten wurden, das sich die Mexikaner dieser entfernten Landstriche mit ebenso großer Begier zu verschaffen suchen wie das eines Stierkampfes.
Wir befinden uns also am Morgen dieses Aufbruchs zur Jagd in der Hacienda del Venado. Die Pferde sind gesattelt und paradieren auf dem Hof neben der Freitreppe. Die mit Matratzen, Gepäck und Flaschen beladenen Maultiere waren ebenso wie die zum Wechseln bestimmten Pferde vorausgegangen. Die beiden Diener, die allein für den persönlichen Dienst bei ihren Herren zurückgeblieben waren, warteten auf diese, um aufzubrechen.
Die Sonne warf kaum ihre ersten Strahlen auf die Erde, als der Hacendero, der Senator und Dona Rosarita in Reitkleidern oben auf der Freitreppe im Hof erschienen.
Das junge Mädchen hatte nicht mehr jene frischen Farben, die mit dem Glanz der halbgeöffneten Granate wetteiferten; aber die Blässe ihres Gesichts, in dem sich die Schwermut ihres Herzens abspiegelte, war ein süßer Anblick wie der erste Lichtschimmer des Morgens, der der nächtlichen Finsternis folgt und dem glänzenden Azur des amerikanischen Himmels zur Mittagsstunde vorausgeht.
Der Reiterzug setzte sich in Bewegung. Als er bei der Öffnung der Ringmauer vorüberkam, die derjenige überstiegen hatte, den Rosarita immer noch Tiburcio Arellanos nannte und der nicht mehr der Gast ihres Vaters sein wollte, zog sie ihren Schleier vor das Gesicht, um eine Träne, die aus ihren Augen perlte, zu verbergen. Sehr oft jedoch hatte die Nacht sie in ihren Träumen an diesem Ort überrascht; als sie aber die Hacienda verließ, schien es ihr, als ob sie ihrer teuersten und schmerzlichsten Erinnerung auf ewig Lebewohl sagte. War es nicht hier, wo sie eines Abends, ohne daß sie es ahnte, plötzlich die Liebe hatte durch ihre Adern strömen fühlen? War es nicht diese Erinnerung, von der sich sozusagen ihr Leben erst datierte? Weiterhin sollte sie nichts mehr an Tiburcio erinnern. Sie ritt durch den dichten Wald und über die roh gemachte Brücke des Waldstroms, ohne die Gefahr zu kennen, der derjenige in diesem Wald und im Salto de Agua ausgesetzt war, der ihre Tränen fließen machte.
Trotz der Bemühungen des Senators verfloß doch der erste Tag der Reise traurig bis zum Abend.
Ein oder zwei Meilen, bevor man an den Ort gekommen war, wo der Reiterzug übernachten sollte, war der Schatten größer geworden, und die Reisenden versanken in tiefes Schweigen, denn der Einbruch der Nacht in der Steppe ist feierlich und ruft immer Träumereien hervor.
Plötzlich begegneten ihnen zwei Reiter.
Der Anblick dieser beiden Reiter war ebenso fremdartig als unheimlich. Der eine war ein Greis, der andere ein junger Mann. Der erstere hatte weißes Haar, das wie das schwarze Haar des anderen hinter dem Kopf durch Riemen von weißlichem Leder so zusammengebunden war, daß es einen dicken Zopf bildete. Eine Art enger Kappe von grobem Netz, mit einer Quaste von Federn geschmückt, bedeckte ihren Kopf und wurde durch ein ledernes Kinnband festgehalten. Beide hatten nackte Füße, aber der obere Teil ihres Körpers war in eine wollene Decke von gröbstem Schlag gehüllt.
Das war der Anzug der Papago-Indianer mit einem einzigen Unterschied: Die beiden Reiter trugen statt der Bogen und Pfeile quer über ihren Sätteln je eine lange, schwere Büchse, deren Kolben und Schaft mit messingenen Nägeln besät waren; auch war der wilde Ausdruck ihres Gesichts weit von dem sanftmütigen Aussehen entfernt, durch das sich die friedliche Indianerrasse auszeichnet, deren Kleidung sie trugen.
Insofern hatte dieses Zusammentreffen nichts Beunruhigendes dargeboten: die Indianer vom Stamm der Papagos sind durch ihre Sanftmut und ihren geraden Sinn bekannt; aber diese beiden Gesichter gehörten zu denen, die man
Weitere Kostenlose Bücher