Der Waldläufer
seinen Landsleuten eigentümlichen gefälligen Haltung empfing er ehrerbietig Don Estevan und den Senator, und der herzliche Empfang, der Tiburcio zuteil wurde, schien diesem von glücklicher Vorbedeutung.
Die Reisenden waren alle vom Pferd gestiegen; Cuchillo, der aus Ehrerbietung für seinen Chef und um sein Pferd zu besorgen, draußen geblieben war, ließ sich das Zimmer der beiden Abenteurer zeigen, die vorausgeritten waren, und suchte dann die Ställe auf.
Was Tiburcio anlangt, der nicht dieselben Gründe hatte, ähnlich zu handeln, so ging er mit dem Senator Tragaduros und Don Estévan in den gemeinschaftlichen Saal, obwohl mit bleicher Stirn und klopfendem Herzen. Der Saal, in den er durch seinen Gastfreund geführt wurde, war der große Salon, mit dem der Leser schon bekannt ist.
Aber alles verschwamm vor den Augen Tiburcios. Es befand sich dort ein Wesen, dessen Lippen das Rot der Granatäpfel erbleichen ließ, die verschwenderisch auf dem Tisch lagen, und dessen Wangen die rosige Farbe der »Sandias« widerstrahlten: das war Doña Rosarita selbst. Ihr über den Kopf geworfener seidener Schleier ließ dazwischen hindurch die glänzenden Flechten ihres Haares sehen und umgab mit seinen Falten das bezaubernde Oval ihres Gesichts. Der schmale Schleier verhüllte ihre Schultern, fiel aber nicht bis zur Taille hinab, deren Umrisse durch einen scharlachenen Gürtel gehoben wurden, und unter den schillernden Falten des Schleiers verliehen strahlendweiße Arme dem himmelblauen Rebozo einen neuen Glanz.
So anmutig auch das Lächeln war, das sie Tiburcio entgegensandte, so war doch etwas Hochfahrendes in dem Willkommensgruß, mit dem sie den glücklichen Zufall erwähnte, der ihn zu ihrem Vater führte, der für seine guten Dienste ebenso dankbar wie sie sei.
Tiburcio seufzte bei dem Gedanken, daß dieser Zufall durch den Tod seiner Adoptivmutter eingetreten sei und daß diese kalte Höflichkeit weit entfernt sei von der Hingebung, die sie bei ihrem ersten Zusammentreffen gezeigt hatte. Dann richtete er seine Blicke auf seine zerrissenen Kleider, die in seinen Augen einen peinlichen Kontrast zu dem eleganten Anzug der beiden anderen Reisenden bildeten. Während Don Estévan seinen Gastgeber mit jenem feinen Anstand unterhielt, der ihn auszeichnete, verschlang der Senator mit den Augen die Tochter Don Agustins und verfehlte nicht, seine hochtrabenden Komplimente mit den geschmackvollen Artigkeiten zu verbinden, die Señor Arechiza wie ein Mann an sie richtete, der die Welt besser kennt.
Wohl war das Lächeln, mit dem die junge Doña diesen Wetteifer an Artigkeiten aufnahm, sehr verschieden von demjenigen, das sie Tiburcio gewährt hatte. Auch beobachtete dieser ängstlich die gefällige und überlegene Haltung derjenigen, die er schon als Gegner ansah, und vorzüglich die lebhaften Farben der Wangen Rosaritas, das Blitzen ihrer Augen und die unregelmäßigen Bewegungen ihres Busens, der ihren Rebozo sich heben ließ. Sie schien alle naive Freude einer ländlichen Kokette bei den Artigkeiten eines großen Herrn zu empfinden, sobald eine innere Stimme ihr sagt, daß sie verdient sind.
Seinerseits las Don Estévan in den ausdrucksvollen Zügen Tiburcios die Gefühle seines Herzens, und mehr als einmal verglich er wider Willen dessen männliche Schönheit mit der gewöhnlichen Gestalt des Senators; und als ob er gefürchtet hätte, seine geheimen Pläne durchkreuzt zu sehen, runzelte er mehrmals zornig die Augenbrauen, und seine Augen blitzten in düsterem Feuer. Nach und nach hörte er auf, sich an der Unterhaltung zu beteiligen, und schien in tiefe Gedanken versunken. Unmerklich zeigte sich auch ein Zug von Melancholie auf dem Antlitz Rosaritas.
Was den Senator und Don Agustin betraf, so schienen sie beide eine unstörbare Zufriedenheit zu genießen.
In diesem Augenblick kam Cuchillo, von Baraja begleitet, herein, um ebenfalls dem Herrn der Hacienda seine Aufwartung zu machen. Sein Eintreten brachte eine etwas verwirrte Bewegung hervor.
Tiburcio schien jetzt einen verzweifelten Entschluß zu fassen, und den Augenblick der Verwirrung nützend, näherte er sich Rosarita: »Ich würde mein Leben dafür geben«, sagte er zu ihr mit leiser, bittender Stimme, »mit Euch – und wäre es auch nur einen Augenblick – über Dinge von der höchsten Wichtigkeit sprechen zu können.«
Rosarita sah ihn mit erstaunter Miene an, obgleich vielleicht alte Bekanntschaft und die Ungezwungenheit mexikanischer Sitten eine solche
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