Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
Vom Netzwerk:
vorwärts?« fuhr der edle Spanier fort. »Welches Ziel noch verfolgen? Durch welche Mündung diesen Strom von Tatkraft wälzen, der in mir brauste?
    Endlich bot ein Ereignis mir noch einmal das Ringen und den Kampf; ich schüttelte die Erstarrung ab, die mich entnervte, und hoffte; denn für mich sind Kämpfen und Ringen soviel als Vergessen.
    Unsere politischen Erschütterungen gelangten nicht bis zu euch, Don Vicente. Europa kann auf seinen Grundpfeilern wanken, ohne daß ihr in diesem entfernten Winkel Amerikas etwas von unseren Erdstößen merktet. Ihr habt also auch nichts davon erfahren, was ich Euch jetzt erzählen will.
    Vor beinahe zwei Jahren entriß der König von Spanien – der Bruder des Fürsten, dem ich ergeben war, Don Carlos von Bourbon – durch eine Verletzung des im Königreich seiner Vorfahren gültigen salischen Gesetzes ihm diese Krone, auf die er wartete, und schuf so den Herd eines Bürgerkrieges, den Ihr später werdet ausbrechen sehen. Die Infantin Isabella wurde zur voraussichtlichen Erbin des Thrones Ferdinands VII. erklärt, mit Ausschließung seines Bruders. Ich versuchte den tödlichen Schmerz meines hohen Beschützers zu stillen – aber vergeblich. Unter den Tröstungen, die ich an ihm versuchte, unter den Plänen, die ich ihm vorlegte, stellte sich plötzlich eine gigantische Unternehmung meiner Einbildungskraft dar; diese Unternehmung öffnete mir eine weite Aussicht, Gefahren Trotz zu bieten, fast unübersteigliche Schwierigkeiten zu überwinden – das gerade machte sie mir annehmbar.
    Ich träumte davon, für meinen Herrn ein ebenso schönes, ein ebenso großes Königreich zu erobern als dasjenige, das er verlor; ich träumte, ihm eine der schönsten Blumen der überseeischen Krone wiederzugeben, die seine Vorfahren so ruhmvoll getragen hatten. Ich wollte einen Thron erobern, und diesen Thron, einmal erobert, wollte ich – vor zwanzig Jahren noch ein unbekannter Edelmann, jetzt aber gesättigt von Ehren und Reichtümern – zu einem Almosen machen für den der spanischen Monarchie verlustig gegangenen Erben! Werdet Ihr nun glauben«, fügte er mit einem von ruhigem Stolz strahlenden Lächeln hinzu, »daß Estévan de Arechiza an andere die Schätze der Schönheit und die beneideten Reichtümer der Tochter eines mexikanischen Hacenderos ohne Bedauern verschwenden kann?«
    Der mexikanische Senator mit dem engen Horizont, den egoistischen Plänen blieb vernichtet, zerschmettert sowohl vor dieser kühnen Sprache des unbeugsamen Europäers als vor diesem gigantischen Plan und konnte nur rufen, indem er mit Ehrfurcht die Hand drückte, die ihm der edle Spanier entgegenstreckte: »O Don Estévan – mit Eurer Erlaubnis werde ich auch ferner Euch diesen bescheidenen Titel geben –, ich erröte über meinen Argwohn, und für das Glück, das Ihr mir bietet, für die Aussicht, die Ihr mir zu eröffnen geruht, gehört Euch mein Leben und mein Herz; aber ...«
    »Noch ein Argwohn?« fragte Don Estévan lächelnd.
    »Nein, aber eine Besorgnis. Habt Ihr den jungen Mann beobachtet, dem der Zufall uns hat begegnen lassen? Ein heimliches Vorgefühl sagt mir, daß Doña Rosarita vielleicht in ihn verliebt ist; er ist jung, schön, und sie scheinen sich seit langer Zeit zu kennen.«
    »Was?« unterbrach ihn Don Estévan. »Dieser junge, zerlumpte Bauer erregt Euren Verdacht?«
    »Ich gestehe«, sagte der Senator, »daß ich mich nicht habe überwinden können, die Augen Doña Rosaritas zu überraschen, die zuweilen mit sonderbarem Ausdruck auf ihn gerichtet waren.«
    »Faßt wieder Mut; ich weiß durch Don Agustin ganz bestimmt, daß das Herz seiner Tochter von jeder Liebe frei ist und daß ihre Eitelkeit sich in dem Gedanken gefällt, eines der einflußreichsten Mitglieder des Senats von Arizpe zum Gemahl zu nehmen. Was diesen jungen Taugenichts anlangt, der ganz den Stolz eines spanischen Bettlers zu haben scheint, so soll er überwacht werden, und es wäre nur ein geringes Hindernis aus dem Weg zu räumen, wenn er etwa die Anmaßung gehabt haben sollte, sich sein Ziel so hoch zu stecken.«
    Bei diesen Worten schien das Gesicht Don Estévans einen Augenblick sorgenvoll, und er konnte sich nicht enthalten, hinzuzufügen: »Ich habe ihn ebenfalls beobachtet. Eine merkwürdige Ähnlichkeit hat bei mir abermals die Quelle vieler Schmerzen geöffnet ... Aber denken wir nicht mehr an eingebildete Besorgnisse, und laßt mich Euch genauer, als ich es bis jetzt getan habe, das Ziel bezeichnen, nach

Weitere Kostenlose Bücher