Der Wanderchirurg
Lanzettenspitze samt der getrübten Linse durch die Pupille nach unten wandern sah, war er versucht aufzuhören, doch er drückte weiter, so tief es ging. Er wollte nicht den Fehler des Doctorus wiederholen. Felipe zog vor Schmerz die Luft durch die wenigen Zähne, die ihm verblieben waren. Es hörte sich an wie das Zischen einer Schlange. Seine Söhne redeten beruhigend auf ihn ein. Vitus versuchte, seine ganze Konzentration in die Spitze der Lanzette zu legen, und drückte die Linse noch ein letztes Stück nach unten. Dann nahm er das Instrument hoch und registrierte zufrieden, dass die Linse nicht nachkam. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Lanzette heraus.
»So, fertig.« Er reichte dem Alten eine Kompresse.
»Hier, drückt Euch das aufs Auge, und ihr«, er wandte sich an die beiden Söhne, »helft eurem Vater auf. Setzt euch dort drüben ins Gras, und genießt die Sonne nach den langen Regentagen. Ich komme in ein paar Minuten noch einmal zur Kontrolle.«
»Vielen Dank, Cirurgicus.«
Die beiden Söhne unterhielten sich leise, als Vitus kurz darauf zu ihnen trat. Sie hatten es sich im Gras bequem gemacht und aßen gemeinsam ein Stück Käse. Felipe wirkte klein und zerbrechlich, er hatte sichtlich Schmerzen.
Die Söhne schauten unverwandt in eine Richtung, während sie mechanisch kauten. Vitus folgte ihrem Blick. In einiger Entfernung sah er Zerrutti, Maja und die Zwillinge unter der großen Steineiche stehen, die auf der rechten Seite das Halbrund ihrer Wagenburg begrenzte. Antonio kletterte den Baum hoch und befestigte eine große Plane in luftiger Höhe, anschließend warf er mehrere Seile hinunter, an denen Lupo den Stoff abspannte.
Zerrutti beobachtete sie von unten und gab ständig Anweisungen. Als sie fertig waren, sah es aus, als trüge die Eiche eine dreieckige Mütze. Der Magier winkte und stellte sich dann direkt unter den Baum. Mit überraschender Kraft warf er ein starkes Tau senkrecht hoch. Es verschwand für den Betrachter auf halber Höhe unter der Plane und straffte sich plötzlich wie die Sehne eines Bogens. Vitus staunte, es sah aus, als hätte das Seil ein Eigenleben bekommen, doch dann fiel ihm ein, dass Antonio im Geäst saß. Wahrscheinlich hatte er das Tau gefangen und an einem Ast verzurrt.
Kopfschüttelnd riss Vitus sich von dem unverständlichen Treiben los und widmete sich wieder Felipe: »Spätestens jetzt müsste die Linse wieder hochgerutscht sein, falls die Operation nicht geklappt hat«, sagte er zu ihm. »Nehmt mal die Kompresse fort.«
Der Alte tat wie ihm geheißen. Sowie Licht auf die Pupille fiel, begann er heftig zu blinzeln. Vitus kniete neben ihm nieder. »Seht Ihr mich?«
»Ja, ich sehe Euch, der Nebel ist verschwunden.«
»Das ist gut!« Vitus untersuchte noch einmal sorgfältig das Auge und drückte gegen das untere Lid, doch die Linse blieb an ihrem vorgesehenen Platz. »Ich verbinde Euch jetzt beide Augen, aus demselben Grund, wie es der Doctorus gemacht hat. Bitte entfernt das Tuch nicht vor Ablauf einer Woche.« Als er fertig war, schob sich der größere der Söhne das letzte Stück Käse in den Mund und sprach kauend: »Cirurgicus, wir sind Euch zu großem Dank verpflichtet, jedoch ...«, er hielt inne und nahm einen neuen Anlauf. »Die Sache ist die, wir wollen Euch gern etwas geben, aber wir haben nicht mehr so viel Geld.«
»Ihr schuldet mir nichts. Ihr habt eine Arbeit bezahlt, und diese Arbeit hatte einen Mangel. Ich habe also nichts weiter getan als nachgebessert.«
»Hört, hört!« Der Magister hatte sich unbemerkt zu ihnen gesellt. »Das klang ja fast wie ein juristischer Exkurs! Darf ich die Herren trotzdem unterbrechen und ein gemeinsames Mahl anbieten? Dank meiner nicht nachlassenden Bemühungen brennt das Feuer wieder.«
Der Vorschlag wurde gerne angenommen, und bald saßen alle, einschließlich der Zerrutti-Truppe, um einen großen, dampfenden Suppentopf, aus dem sich jeder mit seinem Löffel bediente.
»Ratum et gratum! Kräftig und angenehm! So muss ein Süppchen sein«, verkündete der Magister. Nachdem sie es sich hatten schmecken lassen, stand die Sonne schon schräg, sodass es höchste Zeit für Felipe und die Seinen wurde.
»Komm, Vater«, sagte der größere Sohn, »wir müssen aufbrechen, ehe es dunkel wird.«
»Hast Recht.« Der Greis ließ sich auf die Beine helfen. Dann nestelte er mit der Hand umständlich an seinem Verband herum. »Herr Cirurgicus«, begann er, »ich möchte Euch nochmals danken. Eure Hände
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