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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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sahen die drei Freunde, dass der Kutscher und ein weiterer Mann durch die Luft flogen und zehn, zwölf Yards entfernt niederfielen. Während der zweite Mann, der Kleidung nach ein älterer Gentleman, wie leblos liegen blieb, erhob sich der Kutscher gleich darauf wieder und begann fluchend seine Kleider abzuklopfen.
    »Vorwärts!«, befahl Vitus.
    Swaizy, der während der Geschehnisse nicht wenig Mühe darauf verwendet hatte, die eigenen Gäule ruhig zu halten, schnalzte mit der Zunge.
    Sekunden später sprang Vitus vom ausrollenden Wagen herab, den Koffer mit den Instrumenten in der Hand.
    »Magister, komm! Enano, kümmere dich um den Hund!«
    Aus dem Augenwinkel sah Vitus, wie der Zwerg ohne zu zögern auf das riesige Tier zusteuerte, das mit hechelnder Zunge am Wegrand stand. Er ließ es an seiner Hand schnuppern, worauf es schwanzwedelnd Platz machte, so, als wäre nichts gewesen.
    »Gut.« Vitus wandte sich dem Gentleman zu, der leichenblass vor ihm im Gras lag. Der Mann war um die siebzig, von gepflegten Äußeren, teuer, aber nicht protzig gekleidet. Sein Barett mit der kunstvoll gearbeiteten Smaragdbrosche war einige Schritt entfernt im Staub liegen geblieben; trotz seines Alters hatte der Unbekannte volles, weißes Haar.
    »Sir, könnt Ihr mich hören?« Vitus prüfte den Atem des Verletzten. Gottlob, er war da, und auch der Puls war vorhanden. Dennoch reagierte der Mann nicht.
    Vitus schlug ihm mehrmals mit der flachen Hand gegen die Wangen. »Sir, so wacht doch auf!« Endlich begannen die Lider des Mannes zu flattern.
    »Sir, Ihr hattet einen Unfall mit der Kutsche, könnt Ihr Euch daran erinnern?«
    Der Fremde nickte schwach. Vitus atmete auf. Wenn sein Gedächtnis noch funktionierte, so war das ein gutes Zeichen. »Macht Euch keine Sorgen, ich bin Arzt und werde Euch gleich untersuchen. Zuvor möchte ich Euch noch ein paar Fragen stellen, um sicherzugehen, dass Ihr wieder völlig bei Euch seid.«
    Abermals nickte der Fremde. »Welches Datum
    schreiben wir heute, Sir?«
    »Dienstag, den 11. Dezember anno 1576.« Die Stimme des alten Herrn klang belegt.
    »Sehr gut, Sir. Und wie ist Euer Name?«
    »Lord Collincourt.«

    Mrs. Catherine Melrose war eine korpulente Frau mit kleinem Kopf und gewaltigem Busen. Von den neunundfünfzig Jahren ihres bisherigen Lebens hatte sie dreiundvierzig auf Greenvale Castle verbracht, zunächst als Magd, dann als Kochgehilfin und schließlich, seit nunmehr dreißig Jahren, als Köchin. Ihr Reich befand sich im linken Flügel des kleinen, U-förmigen Schlosses. Zu ihren Untergebenen zählten eine zweite Köchin, zwei Gemüseputzerinnen, eine Fleischbereiterin und weitere Hilfskräfte.
    Heute hatte Mrs. Melrose alle Hände voll zu tun. Der alte Lord war seit einer Woche geschäftlich in London und wurde am Nachmittag zurückerwartet. Bei seiner Ankunft sollte er, das war für Mrs. Melrose Ehrensache, ein besonders reichhaltiges, köstliches Mahl vorfinden.
    »Hast du den bunten Koriander zur Hand, Mary?«, fragte sie mit ihrer hohen, quäkenden Stimme, während ihre kräftigen Hände mit dem Tranchiermesser einen Schnitt in das Schweinswildbret taten. Sie wollte prüfen, ob das Fleisch schon rosig war.
    »Ja, Mrs. Melrose, hab ich.« Mary deutete langsam auf einen in der Nähe stehenden Napf. Sie war ein gutmütiges Ding, doch von einem Temperament, das dem einer Wegschnecke glich.
    »Schön, dann verteilst du ihn jetzt auf dem Mandelkäse. Aber mach, dass es hübsch aussieht, versuch ein Muster zu legen: Rundbogen, Spitzbogen, Sterne oder so etwas. Denk an die Kirche in Balcombe.«
    »Ja, Mrs. Melrose.« Mary begann ihre Hände zum Koriandernapf auszustrecken.
    Mandelkäse war eine Spezialität von Mrs. Melrose. Es handelte sich um ein Kunstwerk, das aus passierten Mandeln, Wasser, Rosenwasser, Safran sowie einem Stück nicht zu scharfem, geschnetzeltem Kuhmilchkäse zubereitet wurde. Das Rezept, das sie wie ihren Augapfel hütete, hatte ihr vor Jahren ein Küchenmeister der Dominikaner verraten.
    Draußen entstand Unruhe. Mrs. Melrose blickte zum Fenster und stellte fest, dass es schon dämmerte. Rufe erklangen. Sollte das der Lord sein? Sie erkannte die aufgeregten Stimmen von Hyron Twigg, dem Schlossverwalter, und Hartford, dem Butler Seiner Lordschaft. Irgendetwas war da los, und ihr schwante, dass es nichts Gutes war. Sie eilte hinaus auf den Vorplatz. Vorsichtig hoben Vitus und Swaizy den Lord aus der Kutsche, die vor der Freitreppe des Schlösschens Halt gemacht hatte.

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