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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Schuld auf sich geladen hatten oder nicht, dem Mob ging es nur um die makabre Unterhaltung. Die Sorgen der Kirche um das Seelenheil ihrer Schafe teilte die Menge nicht im Geringsten. Pöbel!, dachte er weiter, während er vom Podest herabstieg und zu den beiden Gefangenen hinüberschritt.
    »Der Herr sei eurer sündigen Seele gnädig!«, rief er laut und schlug das Kreuz: »Pater noster qui es in caelis, sanctificetur...« Der Jubel der Menge schwoll an. Als er das Vaterunser beendet hatte, schaute Pater Diego fragend auf Hochwürden Ignatio. Der nickte dem Alcalden zu.
    »Tue, was du tun musst«, sagte der Bürgermeister von Dosvaldes zum Henker.
    »Legt Feuer!«, befahl dieser, und seine Helfer hielten die Lunten an die Scheiterhaufen.
    Schnell stiegen die Flammen empor, wurden größer und begannen um die Füße der Delinquenten zu züngeln. Amandus und Felix versuchten, die Beine anzuziehen, doch die Hitze kroch unaufhaltsam an ihnen hoch. Beide hatten noch immer die Augen fest geschlossen. Rauch bildete sich und umhüllte von Zeit zu Zeit ihre Körper. Martinez stellte fest, dass der Südwest stärker geworden war. Man konnte es an der Fahne sehen, die fast waagerecht im Wind stand. Die Flammen hatten jetzt vollständig die Scheiterhaufen erfasst - sie glichen zwei glühenden Feuerbällen.
    Nur ab und zu waren Amandus und Felix noch zwischen den Rauchschwaden zu sehen. Umso mehr konnte man sie hören. Ihre Schreie klangen wie die von eingeschlossenen Ratten in einem brennenden Raum: hoch, schrill, verzweifelt. Der Wind hatte noch weiter zugenommen. Er blies aus Richtung Kirche, pfiff um ihre Ecken herum, verwirbelte davor und fuhr in die Scheiterhaufen. Die Farbe der Flammen, anfangs noch gelb, wurde weißlich. Die Temperatur stieg an. Die Kleidung von Amandus und Felix brannte bereits lichterloh. Beide schrien, doch konnte man sie kaum noch hören, so laut war jetzt das Prasseln des Feuers. Schwere Rauchwolken trieben auf die gegenüberliegende Seite der Plaza zu. Die Menge hustete. Augen tränten. Mütter nahmen ihre Kinder beiseite. Schon begannen einige Alte abzuwandern. Amandus und Felix waren jetzt still. Sie hingen mit weit offenen Mündern an ihren Leitern. Die Haut in ihren Gesichtern war aufgeplatzt. Martinez vermutete, dass sie ohnmächtig waren. Vielleicht hatte sie auch schon ein gnädiger Tod erlöst. Ihre Körper waren schwarz gebrannt. Leitern, Stricke und Pfähle hatten ebenfalls Feuer gefangen. Immer mehr Menschen wanderten auf der anderen Seite davon. Der ganze Platz war voller Rauch. Die fünf Würdenträger auf dem Holzpodest hielten sich Tücher vor Mund und Nase. Die Stimme des Alcalden erklang scharf. »Die Hellebardisten bleiben bis zuletzt auf ihren Posten!«
    Martinez sah, wie die verbrannten Stricke sich lösten und beide Körper fast gleichzeitig in die heruntergebrannten Scheiterhaufen fielen. Pater Diego näherte sich vorsichtig den Delinquenten. Sie waren völlig verkohlt. Ein zierlicher Mann, der sich bislang abseits gehalten hatte, trat mit einem Instrumentenkasten hinzu. Das muss der Arzt sein, dachte Martinez. Der Zierliche musterte eingehend die Verbrannten, dann sprach er auf Pater Diego ein. Der nickte. Er ging zurück zum Podest und berichtete den anderen. Der Alcalde rief mit mächtiger Stimme: »Das Autodafe ist beendet! Die Ketzer sind tot. Geht nach Hause, Leute.« Der Zugführer gab ein paar Kommandos und marschierte mit seinen Männern ab. Die Geistlichen verschwanden in Richtung Kirche. Die Weltlichen in Richtung Bürgermeisterei. Plötzlich stand Martinez allein da. Langsam ging er zu den noch glimmenden Scheiterhaufen. Die Leichen lagen auf dem Bauch mit hochgebogenem Kreuz da. Die Hitze hatte ihre Körper wie einen Brückenbogen verformt. Unwillkürlich legte Martinez seine Hand auf den Rücken des Mannes, der einmal Amandus geheißen hatte. Der Körper zerbrach wie ein verkohlter Ast.
    Eine Woche später hielt sich Martinez noch immer in Dosvaldes auf. Irgendwie war er hängen geblieben. Er saß vor einem alten Haus, dessen Grundriss dreieckig war. Der Wirt, dem das Haus gehörte, betrieb in den unteren Räumen eine Taverne. Sie hieß sinnigerweise Trescantos. Hier hatte Martinez die letzten Tage und Nächte verbracht. Solange er noch bare Münze gehabt hatte, waren alle sehr zuvorkommend zu ihm gewesen. Besonders die Huren. Sie hatten ihm schöne Augen gemacht und sehr verliebt getan. Aber sie hatten ihm nichts vormachen können. Der Geschlechtsakt war für ihn

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