Der Wanderchirurg
ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, mehr nicht. Die Hure gab ihren Körper, und er gab sein Geld. Liebe hatte dabei nichts zu suchen. Martinez liebte die Frauen nicht. Ebenso wenig wie die Männer. Martinez liebte nur Martinez. Das sagte er jedem, der es wissen wollte. Eine Art Selbsterhaltungstrieb. Davon allerdings hatte er in den letzten Tagen eine Menge gebraucht, besonders, als sein Geld zur Neige gegangen war: Zuerst hatte er bei einem jüdischen Pfandleiher seinen Toledaner versetzen müssen. Dass die Klinge alt und schartig war, hatte dieser Geier natürlich sofort erkannt. Ständig dienernd hatte er ihm nur eine lächerliche Summe dafür geboten. Und Martinez hatte eingeschlagen - zähneknirschend. Immerhin, für ein paar starke Räusche hatte es gereicht. Dann war sein schönes Barett mit der Reiherfeder über den Tisch gegangen. Es hatte kaum den Gegenwert einer guten Mahlzeit erbracht. Und jetzt war er schon wieder blank.
Missmutig blickte Martinez sich um. Das Trescantos lag an der rückwärtigen Seite des maurischen Anwesens, direkt am Flussufer des Pajo, der sich an dieser Stelle teilte. Der linke Arm floss geradeaus weiter zur Plaza de la Iglesia, der rechte parallel zum Anwesen, bis er sich auf der anderen Seite wieder mit dem linken Arm vereinte. So kam es, dass das maurische Haus mit seinem schönen Garten wie auf einer Insel lag. Der Pajo plätscherte lustig, die Vögel in den Bäumen zwitscherten lustig, die Gäste im Trescantos sangen lustig, alles war lustig ... nur ihm, Martinez, war nicht lustig zumute. Irgendwie, und zwar möglichst schnell, musste er wieder zu Geld kommen. Zumindest eine gute Mahlzeit wollte er in den Magen kriegen. Gleich jetzt wollte er den fetten Wirt fragen, ob er noch einmal ein Essen springen ließ. Abrupt stand Martinez auf - und stieß mit einem drahtigen Mann zusammen, der in diesem Augenblick die Taverne betreten wollte. »Du schläfst mit offenen Augen, Kamerad«, sagte der Mann und musterte ihn kühl. »Aber wie ich sehe, hast du nur noch eins.«
Er war einen Kopf kleiner als Martinez und wog vielleicht die Hälfte. Doch er strahlte jene Selbstsicherheit aus, wie sie aus vielen gewonnenen Zweikämpfen hervorgeht. Seine Augen waren hell wie Wasser und beobachteten scharf. Sein schmales Gesicht war gut geschnitten und wies kaum Falten auf. Auf Stirn und Wangen allerdings trug er zahlreiche Narben.
Der Kerl ist weder Bauer noch Händler noch sonst was, sagte sich Martinez. Der kommt nicht aus der Gegend, das zeigen die abgelaufenen Stiefel. Wahrscheinlich ist er ein Landsknecht wie ich - und ein Messerstecher dazu. Einer von der Sorte, die sich gern mit anderen anlegt. Jetzt nahm der Fremde den Blick von Martinez' totem Auge. »Kriegsverletzung?«, fragte er lässig, während er sich abwandle, um das Trescantos zu betreten.
»Das geht dich einen Scheißdreck an.« Martinez war gerade in der richtigen Stimmung für eine Prügelei. Noch dazu, wo der andere ihn wie einen Depp hatte stehen lassen. Er wollte hinter ihm her, doch ein plötzlicher Einfall hielt ihn zurück. Über seine Gesichtszüge ging ein Lächeln. Er atmete tief durch und setzte sich erst einmal wieder. Der Bursche mit dem vorlauten Maul wusste es zwar noch nicht, aber er würde ihm dabei behilflich sein, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen ... Nach einer Weile erhob sich Martinez — und setzte sich sogleich wieder. Eine innere Stimme warnte ihn. Der Bursche war einfach zu selbstsicher. Welche Tricks hatte er im Köcher? Wie stark war er? Wie schnell? Man durfte ihn nicht unterschätzen. Doch Martinez hatte seinen Entschluss gefasst. Er stand auf, ging die wenigen Schritte bis zum Eingang der Schenke und blieb im Türrahmen stehen, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Wie das Haus war auch der Schankraum im Grundriss dreieckig. An beiden Seiten links und rechts des Eingangs standen lange Eichentische, an denen mehrere Männer zechten. An der Rückwand, gleichsam der Hypotenuse, befand sich eine offene Tür, die zur Küche führte. Martinez sah den Wirt geschäftig darin hantieren. Neben der Tür hing ein Hirschgeweih. Und gleich rechts vorn saß der Mann, dem Martinez eine Lektion verpassen wollte. Ein Ausdruck der Genugtuung huschte über sein Gesicht. Es war so, wie er es erwartet hatte: Der Fremde saß vor einer reichlichen Mahlzeit, bestehend aus dicken Schinkenscheiben in Knoblauchöl, duftendem Brot, einem großen Stück Käse, grünen Oliven und einem Becher
Weitere Kostenlose Bücher