Der Wanderchirurg
stammte aus Toledo, und ihr Stahl war so hart, dass er damit das beste Kettenhemd durchtrennen konnte. Der Ort kam näher. Die Aussicht auf einen herzhaften Happen und einen guten Tropfen beschleunigte seinen Schritt. Als er die ersten Hütten erreicht hatte, schulterte er sein Bündel und blickte neugierig in die offenen Fenster hinein, doch nirgendwo konnte er eine Menschenseele entdecken. Was ist mit diesem Kaff los?, fragte er sich. Ist hier die Pestilenz ausgebrochen? Das Mückenfieber? Die rote Scheißerei?«
Während er langsam weiterging, beschloss er, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich in den Häusern ein wenig umzusehen ...
Eine halbe Stunde später stand Martinez am Ende der Calle San Antonio und wusste, warum die Häuser des Ortes wie leer gefegt waren: Auf der Plaza de la Iglesia vor ihm sollte eine öffentliche Verbrennung stattfinden. Ein Spektakel, das die Menschen anzog wie das Fleisch die Fliegen und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen erforderte. Einige Hellebardisten hatten deshalb den Platz zur Straße hin abgesperrt. Sie musterten Martinez, und Martinez blickte zurück. Die Männer waren verweichlicht, das sah er sofort. Sein Auge wanderte weiter. Die Plaza war schwarz vor Menschen, vielleicht würde sich später die Möglichkeit ergeben, einen gut gefüllten Geldbeutel den Besitzer wechseln zu lassen, denn außer ein paar armseligen Kupfermünzen und einigen Vierern hatte er in den Häusern nichts gefunden. Hungerleider, die Leute hier!, dachte Martinez verdrossen. Hatten nichts, für das es sich lohnte, lange Finger zu machen!
Er beschloss, sich am Anblick der Verbrennung schadlos zu halten. Die Vorbereitungen auf dem Platz, dessen Fläche vielleicht fünfzig mal fünfzig Schritt im Geviert maß, schienen abgeschlossen zu sein. Links im Vordergrund stand ein Gotteshaus mit separatem Glockenturm, davor ein kleineres Gebäude mit drei Fenstern. Wahrscheinlich das Wohnhaus des Priesters. Rechterhand, am Rande des Platzes, befand sich ein weiß
getünchtes Steinhaus von einiger Größe, über dessen Tür
»Alcalde« stand. Martinez konnte das Wort nicht lesen, aber an der Form der Buchstaben erkannte er, dass dies die Bürgermeisterei sein musste.
Weiter hinten stand das zweifellos schönste Haus der Plaza: ein Anwesen mit einer herrlichen Gartenanlage, die sich längs des Platzes erstreckte. Sein Besitzer hatte es ganz im maurischen Stil erbauen lassen. Vor dem Haus standen die Menschen erhöht auf einer Brücke, die einen Fluss überspannte, der Pajo genannt wurde. Die übrigen Menschenmassen waren von den Hellebardisten zurückgedrängt worden, denn in der Mitte der Fläche brauchte die Inquisition Platz: Ein hölzernes Podest mit Fahnenmast war hier errichtet worden. Am Himmel zogen jetzt Wolken auf, die einen leichten Südwestwind mit sich brachten. Träge begann die Fahne Kastiliens zu flattern. Zwanzig Schritt vom Fahnenmast entfernt hatte man zwei Holzpfähle in den Boden gerammt und davor jeweils einen großen Berg aus Holz und Reisig angehäuft - die Scheiterhaufen. Ein erwartungsfrohes Summen lag über der Menge. Durch die Postenkette schlüpfte ein Narr und begann Purzelbäume zu schlagen. Die Leute lachten, einige Hellebardisten stimmten mit ein. Der Narr nutzte seine Freiheit und paradierte im Stechschritt auf und ab.
»Ich bin Locolito!«, rief er mit schriller Stimme. »Bin der schaurigste Hexer und der wärmigste Schwule im ganzen Land!« Auch Martinez amüsierte sich. Endlich bekam man hier etwas geboten! Die Hellebardisten dachten nicht mehr daran, den Narren zurückzuschicken. Locolito trug ein Wams, dessen linke Seite rot und dessen rechte Seite gelb war. Bei der hautengen Hose war es genau umgekehrt. Seine Hand deutete zum Herzen:
»Bin Hexer hier ... geheimnisvoll!« Dann tippte er sich auf die rechte Brustseite: »Und Schwuler hier ... so liebestoll!«
Die Leute jubelten und klatschten. Jetzt tippte seine Hand schnell hintereinander aufs linke Bein, aufs rechte Bein, zum Herzen, zur rechten Seite und wieder zurück, während er zu hüpfen begann und im Rhythmus seiner Sprünge schrie:
»Bin mal Hexer und mal Schwuler, bin mal Hetzer und mal Buhler, ich hexe und buhle und buhle und hexe ..,«
Er hielt inne. »Und auch ich hätte ganz bestimmt den Tod verdient ...«, er verbeugte sich theatralisch, »wenn ich nicht ein so groooooßer Narr wäre!«
Für den Bruchteil einer Sekunde schwieg die Menge. Dann brüllte sie auf vor Lachen. Schnell nahm der Narr
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