Der Wanderchirurg
Wein.
Martinez ging auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Der Fremde kaute mit vollen Backen. Erst jetzt sah er auf. Martinez griff mit großer Selbstverständlichkeit nach einer Scheibe Schinken und ließ sie sich genüsslich in den Mund gleiten: »Du schläfst mit offenen Augen, Kamerad, sonst wäre dir aufgefallen, dass dies meine Mahlzeit ist. Bestell dir selbst was.« Er nahm sich eine weitere Scheibe. Der andere brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen. »Das werde ich nicht«, entgegnete er ruhig. Plötzlich verstummten die Gespräche im Raum. Der Fremde schaute nach hinten. »He, Wirt, bestätige mir, dass dies mein Essen ist.«
Der Wirt kam aufgeregt näher, sich fahrig die Hände abtrocknend. »Ja ... äh, nein, also eigentlich ... also hört mal zu, ihr Burschen. Ich will keinen Ärger, ich bringe jetzt noch mal dasselbe, und die Sache ist ausgestanden, in Ordnung?«
»Nichts ist in Ordnung«, widersprach Martinez mit vollem Mund. Er hatte sich gerade das Stück Käse einverleibt. »Der Hänfling hier wollte mir mein Essen stehlen.«
»Am besten, du gehst wieder in deine Küche, Wirt«, meinte der Fremde kühl. »Und ihr, Leute, haltet euch raus. Es wird nicht lange dauern.«
»Nein, das wird es nicht!«, bekräftigte Martinez. Blitzschnell zog der Fremde seinen Dolch und stieß ihn in das Brot, das Martinez gerade greifen wollte. »Ich fordere dich zum Zweikampf!«
»Das dachte ich mir«, sagte Martinez. Bisher war alles genauso gelaufen, wie er es vorausgeplant hatte. Hoffentlich konnte er das am Ende des Kampfes auch noch sagen. Er stand auf.
»Dann nimm die Fäuste hoch, und wir kämpfen um dein Essen, dein Geld und deinen Dolch.«
»Nein.« Der Fremde lächelte kalt. Er zog die Klinge aus dem Brot und hielt Martinez die Spitze unters Kinn.
»Du kämpfst um dein Leben.«
Beide sprangen auf und standen sich auf der freien Fläche zwischen den Tischen gegenüber. Die Zecher bildeten einen Halbkreis. Martinez riss sich das Hemd vom Körper und wickelte es sich um den linken Arm, zum Schutz vor den Stößen.
Der Fremde erwies sich als außerordentlich schnell. Leichtfüßig umkreiste er Martinez, während er spielerisch mit dem Dolch zustieß, immer gerade so weit, dass er seinem Gegner die Haut leicht einritzte. Martinez hatte den Eindruck, dass der andere ihn jederzeit treffen konnte, wenn er nur wollte.
»Du kämpfst um dein Leben!«, wiederholte der Fremde.
»Genau wie du!«, versetzte Martinez und schlug mit der rechten Faust zu. Der Hieb ging ins Leere. Wieder lief der andere im Kreis um ihn herum, und Martinez drehte sich mit. Er kam sich vor wie ein Tanzbär. Beim Blute Christi, er war zu langsam für diesen Bastard! Der Fremde machte einen Ausfallschritt und stieß zu. Martinez konnte gerade noch seinen Arm hochreißen. Das war knapp!
Ruhig bleiben!, ermahnte er sich. Das ist nicht die erste brenzlige Situation, in der du steckst. Versuche, selbst die Initiative zu ergreifen. Versperr ihm den Weg, wenn er dich umkreisen will. Pack den Messerarm, dann hat er verspielt: Du hältst den Arm eisern fest, ziehst den Burschen an dich und hebelst ihm den Dolch aus der Hand, so, wie du's schon Dutzende Male vorher getan hast!
Wieder attackierte der Fremde. Mit katzenartiger Geschmeidigkeit brachte er eine Finte an. Martinez riss seinen Armschutz hoch, doch diesmal war er zu langsam. Noch während sein Arm hochflog, hatte der andere ihm einen Stich in die Hüfte verpasst. Martinez spürte einen beißenden Schmerz. Etwas Warmes rann ihm die Hose hinab. Triumph stand in den Augen seines Gegners. Abermals griff er an, doch nun war Martinez schneller. Der Stoß endete wirkungslos im Stoff. Gleichzeitig landete er einen krachenden Faustschlag an der Schläfe des Fremden. Der andere zeigte sich beeindruckt. Er schüttelte den Kopf, um den Schlag zu verdauen.
Gut so, Bastard!, dachte Martinez, noch hast du mich nicht im Sack. Rasch trat er einen Schritt zurück, griff mit der rechten Hand nach hinten, nahm abermals eine Scheibe Schinken vom Teller und steckte sie sich in den Mund. »Deine Mahlzeit schmeckt mir immer besser, Hanswurst!«, rief er. Zum ersten Mal sah Martinez so etwas wie Wut in den Augen des anderen aufblitzen. Er spuckte dem Fremden ins Gesicht, um ihn noch mehr zu reizen. Doch nun schien sein Gegner sich wieder gefangen zu haben. Abermals begann er ihn zu umkreisen. Martinez wollte das verhindern und machte einen langen Schritt nach vorn. Er drosch dem Fremden den
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