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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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um sechs Mädchen, vier Jungen und eine alte Frau.«
    »Ja, ich habe das getan «, erwiderte Vacher. Bei jeder erneuten Erwähnung der Morde wurde er gereizter: Warum verstand der Präsident denn nicht, in welchem geistigen Zustand er sich während der Mordserie befunden hatte? Er war verrückt, also schuldunfähig. »Ja, ich habe getötet und die Leichen dann geschändet und verstümmelt. Aber die Schuldigen, die wahren Schuldigen, das sind die Ärzte in der Anstalt Saint-Robert, die mich im Land herumrennen ließen, anstatt mich einzusperren!«
    Seine Klage weitete sich aus zu einer Schimpftirade. Er beharrte darauf, dass er ein Werkzeug Gottes sei, weil seine schrecklichen Verbrechen die Gesellschaft auf die unerträglichen Zustände in den Nervenheilanstalten aufmerksam machen sollten. Er sei ein lebendes Beispiel für die Versäumnisse dieser Anstalten. »Ich bin kein Schurke! Ja, ich habe diese Menschen überfallen und ihnen einen schrecklichen Tod beschert. Aber ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten. Ich habe dies getan, ich habe das getan. Was können Sie denn machen, wenn Sie einen Anfall haben, wenn Sie in Wut geraten wie ich? Woher soll ich wissen, was mich überwältigt hat? Ich war wie ein Tier.«
    »Ein wildes Tier«, fügte de Coston hinzu.
    »Ja, weil mich ein wildes Tier gebissen hat.«
    Nun stand Charbonnier auf und erinnerte die Geschworenen daran, dass Vacher nur wegen eines einzigen Verbrechens angeklagt sei, und zwar wegen des Mordes in Bénonces. Der Präsident habe daher kein Recht, alle anderen zur Sprache zu bringen, erklärte er und wandte sich an de Coston: »Sie stellen meinem Mandanten Fragen, die mit der Anklage nichts zu tun haben.«
    »Er hat recht«, schloss Vacher sich an. »Das alles geht Sie nichts an.«
    Verärgert wies de Coston darauf hin, dass er darüber entscheide, welche Fragen von Bedeutung seien. Zudem untermauere Vacher die Behauptung, unzurechnungsfähig gewesen zu sein, ja auch mit seinen vielen Verbrechen. Daher seien diese durchaus Gegenstand der Verhandlung.
    Mit der Zeit wurde der Präsident unruhig. Er hatte sich eine professionell geleitete, reibungslose Verhandlung vorgestellt, und nun geriet er allmählich in genau den Zirkus, den er unbedingt hatte vermeiden wollen. Vachers Uneinsichtigkeit und das respektlose Benehmen der Zuschauer ärgerten ihn, und er ließ sich zu unnötigen und unsinnigen Wortwechseln verleiten. Später am Tag hatte Vacher offenbar Mühe, eine Frage zu verstehen. »Können Sie das wiederholen?«, bat er. »Ich bin so müde.«
    »Ich auch«, meinte de Coston. »Müde und davon angewidert, dass ich seit heute Morgen in Blut waten muss.«
    Vacher: »Und wessen Schuld ist das?« Schließlich hatte der Präsident diese Vernehmungsstrategie selbst gewählt.
    Genug. Die Sitzung wurde auf 18.15 Uhr vertagt. Die Zuschauer verließen daraufhin geordnet den Saal, und die Journalisten schrieben eilig ihre Berichte. Der Reporter des Lyon Républicain , der klar auf der Seite der Anklage stand, war der Meinung, das Gericht und »der Mann in der roten Robe und mit der strengen Stimme« hätten Vacher eingeschüchtert. »Er schien etwas verwirrt zu sein.« Albert Bataille vom Figaro kritisierte Vachers unverschämtes Benehmen scharf. Selbst die Ärzte, »die dazu neigen, überall Geisteskranke zu sehen, ließen sich von diesem Monster nicht täuschen«, schrieb er. »Ich auch nicht. Dafür genügte mir eine einzige Vernehmung. Und nach all dem kleinlichen Geplänkel mit dem Präsidenten steht mein Urteil fest.« Wie viele andere, die den Prozess verfolgten, war Bataille bereits davon überzeugt, dass Vacher simulierte.
    Der zweite Tag begann ruhiger als der erste. Vacher, immer noch in Velours und mit seiner typischen weißen Mütze, betrat den Saal ohne weitere Proklamationen. Er scherzte mit den Polizisten und bot den Soldaten und Journalisten Autogramme an. Nachdem er neben Charbonnier Platz genommen hatte, betrachtete er die Hermelinrobe seines Verteidigers, befühlte den Pelz und versicherte ihm, sie sei von sehr guter Qualität, wenngleich er Hasenpelz bevorzuge. Eine noch größere Menschenmenge drängte sich, angelockt vom Klatsch und von den Zeitungsberichten, in den Gerichtssaal. Diesmal waren auch mehr Frauen gekommen. Als die Sitzung begann, erbot sich Vacher, noch eine Erklärung zu verlesen, doch der Präsident lehnte ab. Zuerst wollte er dem Angeklagten eine Frage zu seiner angeblichen Geisteskrankheit stellen. Er ging mit ihm die

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