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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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zurückzuführen war. Eine Schwangere, die auf dem Land in der Nähe von Lyon lebte, nahm eine Medizin gegen Bronchialverschleimung und starb einen schnellen, schmerzhaften Tod. Anders als Holmes schnupperte der Professor jedoch nicht nur an den Lippen des Opfers. Er rief zwei andere Ärzte als Zeugen herbei und notierte sorgfältig die Position der Leiche, die Leichenflecken und die Leichenstarre. Dann nahm er eine gründliche Autopsie vor und achtete auf innere Blutungen, Blutklumpen und andere Anzeichen für die Todesursache. Er entnahm das Gehirn, den Magen, die Leber, die Nieren, die Gebärmutter sowie Teile des Darms und der Milz, steckte alles in Gläser und ließ diese in sein Labor bringen. Weitere Gläser, die Magensaft, Fruchtwasser, Urin und Blut enthielten, gingen ebenfalls ins Labor. Im Institut injizierte er, unterstützt von einem Professor für Physiologie, Proben der Magenflüssigkeit in zwei Frösche und in einen mittelgroßen Laborhund. In einen dritten Frosch injizierte er destilliertes Wasser als Kontrolle. Dieser Frosch überlebte, aber alle anderen Tiere starben. Dabei zeigten sie Symptome wie Krämpfe, Kontraktionen der Kiefermuskeln, Magenschwellung, Ersticken und ein rasches Einsetzen der Leichenstarre – typische Anzeichen für eine Strychninvergiftung. Die gleichen Symptome waren bei der Frau aufgetreten. Lacassagne brachte die Flüssigkeiten einem Chemieprofessor, der im Magensaft Strychnin feststellte. Insgesamt nahmen fünf Ärzte an der Untersuchung teil, die länger als zwei Tage dauerte. Schlussendlich wurde der Apotheker wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil er ihre Medizin versehentlich verunreinigt hatte.
    In Berchers Doktorarbeit finden sich hier und da Anmerkungen in Lacas­sagnes verschnörkelter Handschrift, die den Eindruck vermitteln, dass auch er sich mit den Methoden und der Philosophie von Holmes beschäftigte. Von einem streng akademischen Standpunkt aus betrachtet, stellte er die Frage, ob Holmes »deduzierte« (vom Allgemeinen auf das Besondere schloss) oder »induzierte« (vom Besonderen auf das Allgemeine schloss). Aber er stellte auch die Frage, ob die Forensik jemals die exakte, fast mathematische Wissenschaft sein könne, von der Conan Doyle sprach. Seiner Meinung nach waren auch Kunstfertigkeit und Intuition beteiligt. Lacassagne war überzeugt, dass die Gerichtsmedizin auf drei wichtigen Komponenten beruhte: handwerklichem Geschick, wissenschaftlichen Kenntnissen und Kunstfertigkeit. »Handwerkliche Fertigkeiten kann man erlernen«, schrieb er. »Mit Geduld und Fleiß kann man wissenschaftliche Kenntnisse erwerben. Aber die Kunstfertigkeit ist eine natürliche Begabung.« Er bezweifelte, dass die kühle, distanzierte Analyse, die Holmes bevorzugte, immer ausreichte, um die Wahrheit herauszufinden. »Gibt es zwischen Geometrie und Raffinesse … nicht auch Inspiration, ein spontanes Element, ein quid divinum? «
    Seine Fähigkeit, einfühlsam neue Wege zu entdecken und zu gehen, trieb Lacassagne voran und führte zu seiner erstaunlichen Erfolgsquote. Seiner Auffassung nach wurden die Verbrecher immer schlauer und verworfener. Darum musste der moderne Ermittler neue Mittel finden, um sie zu bekämpfen. »Alle stummen Zeugen – der Ort, die Leiche, die Abdrücke – können sprechen, wenn man ihnen die richtigen Fragen stellt.«
    Die »Befragung« der Beweismittel erwies sich als schwierig, als Lacassagne den Mörder von Madame Foucherand suchte, die man neben einer Weinflasche tot auf dem Boden vorgefunden hatte. Er bemerkte Blutflecken am Türrahmen in einer Höhe von mehr als anderthalb Metern und auf einer Zeitung, die auf der Bar lag. Die Form und die Positionen der Flecken verrieten Lacassagne, dass die Leiche nicht transportiert worden war. Jemand hatte das Opfer mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, und zwar mit solcher Gewalt, dass Blut herumgespritzt war.
    Die Untersuchung der Leiche im Labor ließ auf mindestens zwei Täter schließen. Leichenflecken belegten, dass man sie nach dem Mord auf dem Rücken liegen gelassen hatte. Lacassagne entdeckte deutliche Hämatome an den Handgelenken, am Bauch und am Brustkorb. Die innere Untersuchung enthüllte schwere Verletzungen. Sogar Muskeln und Organe bluteten, und mehrere Rippen waren gebrochen. Das alles sprach dafür, dass ein Täter das Opfer mit Gewalt auf den Boden gedrückt und dabei auf seinem Brustkorb gekniet hatte. Irgendwann hatte er die Frau gewürgt, denn das Zungenbein über dem

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