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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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zurück, weiß wie dieser Schnee.« Hier spürte er die Gegenwart »dieser guten Mutter, die ihre Hand nach mir ausstreckte … selbst als ich im gefährlichen Wind des Schicksals trieb«.
    Nach dieser Huldigung überquerte Vacher die Berge nach Süden. Er wollte nach Spanien gehen, »ein Land mit guten Orangen und netten Menschen«. Aber spanische Vagabunden, die das Land verließen, warnten ihn: Jeder verfügbare Mann werde derzeit für den Krieg in Kuba eingezogen, und auch seine französische Staatsbürgerschaft werde ihn davor nicht schützen.
    In den Wochen nach seinem Besuch in Lourdes schien Vacher sich zu verändern – zumindest oberflächlich. Zeugen bemerkten, dass er jetzt zwei Knüppel bei sich trug, den mit den Initialen und einen mit den eingeschnitzten Worten »Marie Lourdes«. Beobachter berichteten von gelegentlichen menschlichen Anwandlungen, von einer gewissen Warmherzigkeit. Im Februar 1897 verbrachte er eine Woche in einer abgelegenen Gruppe von Dörfern in Südfrankreich, wo mehrere Leute ihn in guter Erinnerung behielten. Sie hatten gesehen, wie er Kinder mit dem Akkordeon unterhielt. Und Louise Farenc, die Frau eines Bauern im Weiler Couloubrac, berichtete, dass an einem kalten, regnerischen Tag ein völlig durchnässter Mann an ihre Tür geklopft und gefragt habe, ob er sich bei ihnen trocknen dürfe. Das Paar habe ihn zum Essen und Übernachten eingeladen. »Er hatte eine Wunde an der linken Wange«, sagte sie. »Eines seiner Augen war kleiner als das andere, und sein Mund war verzerrt. Wir gaben ihm einen Platz vor dem Kamin, und er aß Suppe mit uns.« Nach dem Essen nannte er seinen Namen »Vacher oder Acher«, erinnerte sich die Frau später, er sei 27 Jahre alt gewesen, sei ein Maristenmönch gewesen und habe dann bei der Armee gedient. Er zeigte ihnen seine Rangabzeichen als Feldwebel, die er liebevoll in Papier gewickelt hatte. Die Wunde an seiner Wange habe ihm ein austretendes Pferd zugefügt.
    In den nächsten paar Tagen wurde er fast zu einem Teil der Familie. Er las den beiden Kindern vor und umarmte sie. »Er liebkoste die Kinder gerne, vor allem meinen Sohn Henri [14], den er oft rief, damit er sich zu ihm setzte«, erzählte Louise Farenc. »Er sagte, er könne Akkordeon spielen, habe aber momentan kein Instrument.«
    Auch ihr Mann hielt Vacher für einen höflichen und anständigen Gast. Ihr älterer Sohn Élie, 17, berichtete, dass der Gast mit seiner enormen Kraft geprahlt habe, wenn er mit ihm allein gewesen sei. »Er zeigte mir seine Hände und seine starken Muskeln und behauptete, er sei stark wie zwei Männer und habe noch nie jemanden getroffen, der es mit ihm habe aufnehmen können.«
    Einige Tage später kehrte Vacher zurück, um eine Decke zu holen, die er vergessen hatte. Während seines ersten Besuchs hatte er einen Bart getragen, nun war er rasiert. »Die Kinder riefen: ›Sie sind so hübsch!‹«, erinnerte sich die Mutter. »Wir sahen ihn nie wieder.«
    Bald danach klopfte Vacher an die Tür von Monsieur und Madame Valette. Zum Dank für eine Mahlzeit und ein Bett für die Nacht führte er ihre Tochter in die Schreibkunst ein. Seine Handschrift war schön – er malte große, elegante Buchstaben, die auf eine empfindsame, künstlerische Seele hindeuteten. Auf das schraffierte Millimeterpapier im Notizbuch des kleinen Mädchens schrieb er mehrere Male den Satz »Unter Reisenden befinden sich oft große Geister und manchmal sogar große Freunde Gottes.« Quer über die Seite schrieb er vier Gleichungen, um die Grundrechenarten zu demonstrieren: Addition, Subtraktion, Division und Multiplikation. Jede bestand aus vier oder fünf Ziffern. Der Gast war offensichtlich gebildet.
    Doch hinter all der Freundlichkeit während dieser Begegnungen lauerte das Raubtier. Als Vacher in die Marktstadt Lacaune kam, traf er einen Landstreicher namens Célestin Gautrais. Die beiden waren nach Vachers Besuch in Lourdes eine Zeit lang gemeinsam gewandert und gingen nun in eine Kneipe, um etwas zu trinken. Gautrais erzählte Vacher, dass er 200 Francs in einem Schließfach bei der Post liegen habe, und sie gingen hin, um das Geld zu holen. Am nächsten Morgen wurde Gautrais tot aufgefunden. Jemand hatte ihm mit einem Knüppel den Schädel eingeschlagen und ihm die Hose bis zu den Knöcheln herabgezogen. Das Geld war natürlich weg. Als die Dorfbewohner sich um den Leichnam versammelten, stand Vacher dreist mitten in der Menge – so wie er es auch nach dem Mord an Augustine

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