Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
fragte er.
»Natürlich geht es mir gut.«
»Bitte lüge jetzt nicht. Ich habe gesehen, was Iris dir angetan hat. Und die Operation … Das hast du doch gemeint mit ›ausgeweidet‹, nicht wahr?«
Sie ertrug es nicht, dass er sich Sorgen um sie machte – als ob es darauf noch ankäme, wo er gerade mit dem Tode rang.
»Es geht schon wieder«, sagte sie deshalb. »Ich hab’s überlebt.«
»Ich will, dass du irgendwann ein Kind adoptierst«, sagte er. »Hörst du? Das wünsche ich mir wirklich.«
»Sag so etwas nicht.«
»Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist.«
»Leon, nicht!« Sie beugte sich über ihn. »Das mache ich nicht mit. Du sagst jetzt nicht auf Wiedersehen.«
»Das Beste.« Er lächelte und schloss halb die Augen.
Sie hielt weiter die Hände auf seine Wunden, doch sie konnte spüren, wie er ihr entglitt.
»Tu mir das nicht an«, bat sie.
Er gab keine Antwort. Der Kampfeslärm hinter ihr war inzwischen verebbt; zwar rangen ein paar Männer noch miteinander, andere weinten um ihre Toten, doch es fielen keine Schüsse mehr. Sie schaute sich abermals um. Vereinzelt rannten Menschen an der Arkade vorbei, doch niemand nahm Notiz von ihnen.
Sie wünschte wirklich, Myrna wäre hier. Andererseits war ihr klar, dass es so oder so zu spät sein könnte. Hör doch bitte auf, zu bluten.
Sie faltete das Stück Stoff an seiner Seite neu und presste es wieder auf die Wunde. Sie konnte jeden einzelnen seiner Atemzüge unter ihrer Hand spüren. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, flüsterte sie hilflos.
»Heirate, zieh ein paar Kinder groß, werde alt«, schlug er vor.
»Versuch jetzt nicht, mich zum Lachen zu bringen. Das alles tue ich, wenn überhaupt, nur mit dir.«
Wieder schüttelten Krämpfe ihn, dann schaute er beinahe verwundert zu ihr auf. »Gaia?«
»Ich bin hier«, sagte sie.
Da schloss er die Augen.
Einen kurzen Moment war sie wie gelähmt. Sie hatte das bereits zu häufig erlebt: mit ihrer Mutter, mit der Matrarch … Es durfte jetzt nicht schon wieder passieren. Das durfte es einfach nicht.
In ihrer Verzweiflung riss sie sich los von ihm. »Sephie!«, schrie sie, sprang auf und trat unter den Arkaden hervor ins helle Licht. »Sephie! Wo bist du?«
Sie hielt sich den schmerzenden Bauch und rannte zurück zur Bastion. Die Terrasse hatte sich geleert, aber an der Seite standen noch die Soldaten, von den Überläufern in Schach gehalten. Weitere Rebellen hatten einige weißgekleidete Vertreter der Oberschicht umzingelt. Und als sie näherkam, entdeckte sie auch Sephie, die den Protektor verarztete. Er saß auf der obersten Stufe und hielt sich mit einer blutigen Hand das Bein.
Gaia griff nach Sephies Tasche. »Komm mit!«, sagte sie. »Leon liegt im Sterben. Ich brauche dich.«
»Du hast mich niedergestochen«, erinnerte Sephie sie.
»Und weiter? Du hast mir die Eierstöcke gestohlen.« Mit aller Kraft zog sie Sephie auf die Beine. »Du musst mitkommen. Jetzt gleich!«
»Wage es nicht«, drohte der Protektor.
»Los jetzt!«, drängte Gaia. Sephie warf noch einen unschlüssigen Blick auf den Protektor, dann nickte sie. Eilig überquerten sie den Platz. Selbst in ihrer Aufregung entging Gaia nicht die Bedeutung dieser Entscheidung: Der Protektor hatte seine Macht über die Menschen verloren.
Sie erreichten die Arkade und hasteten die beiden Stufen hinauf in den Schatten. »Leon?«
Er gab keine Antwort, doch er atmete noch. Gaia hockte sich neben ihn und drückte ihm wieder den Stoff auf die Wunden. Er regte sich nicht. Keuchend nahm Sephie neben ihr Platz.
»Er hat zwei Schusswunden«, sagte Gaia.
»Ich weiß. Ich habe gesehen, wie es passiert ist: Er hat seinen Vater angegriffen, und der hat ihm aus nächster Nähe in die Brust geschossen. Ein paar Wachen haben die Gelegenheit zum Überlaufen ergriffen, für Leon aber kam die Hilfe zu spät. Ich hätte gedacht, dass er schon tot ist.«
Sephie fasste an seinen Hals, um den Puls zu fühlen. Dann hob sie eins seiner Lider. Leons Pupille zog sich zusammen.
»Ich weiß nicht, was ich deiner Meinung nach für ihn tun sollte«, sagte sie leise.
Doch Gaia wühlte schon in Sephies Tasche. »Erzähl mir nicht, dass du keine …« Sie fand eine Kanüle und einen Katheter. Rasch griff sie nach Leons Arm und riss ihm den linken Ärmel auf. Die Haut in seiner Armbeuge, wo vor kurzem noch der Tropf angeschlossen gewesen war, hatte gerade zu heilen begonnen. »Er braucht eine Transfusion.«
»Wie stellst du dir das vor? Woher soll
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