Der Weg der Helden
und stell dir den Medizinbeutel vor. Mondstein wird davon zu dir gezogen.
Er wirbelte nicht länger um seine eigene Achse. Er schwebte gewichtslos zwischen den Sternen. Er schloss die Augen und folgte dem Rat des Schamanen. Er spürte den Medizinbeutel in seiner linken Hand. Etwas strich zart über seine Finger. Er griff danach und verfehlte es. Es kam wieder, und diesmal konnte er seine Finger in die Oberfläche graben. Ein scharfer Schmerz zuckte durch seinen Arm. Er öffnete die Augen und sah eine riesige, gefleckte Schlange, die ihre Zähne in seinen Unterarm gegraben hatte. Unwillkürlich öffnete er die Finger, überwand jedoch seine Furcht und packte den runden Leib erneut. Die Schlange schnappte nach seinem Gesicht, bohrte ihre Zähne tief in seine Haut, und er spürte, wie das Gift in seinen Körper sickerte.
Illusionen. Es ist alles eine Illusion, sagte er sich. Im selben Moment verschwanden die Wunden.
Jetzt hielt er einen Felsbrocken in der Hand. Würmer krochen aus Löchern in seiner Oberfläche, fraßen sich in seine Handfläche, und ihre winzigen Zähne zerfetzten seine Haut.
Er konzentrierte sich auf den Medizinbeutel, stellte sich das Schiff vor, suchte einen Rückweg. Die Würmer fraßen sich zu seinem Handgelenk durch. Sie legten Eier in seine Arterien. Er fühlte, wie sie durch seine Adern strömten. Aus den Eiern schlüpften weitere Würmer, die in seiner Brust wuchsen, seinem Bauch, seinem Hals und seinen Lenden; dann brachen sie von innen durch die Haut.
Er wurde bei lebendigem Leib aufgefressen.
» Hilf mir, Schamane!«, bat er. Aber niemand antwortete.
Und wenn das jetzt alles nur ein Trick war? Wenn es gar keinen Mondstein hier gab? War er in eine Falle gelockt worden?
Ein Wurm platzte aus seiner Wange und klatschte auf sein Gesicht.
Jetzt drehten sich die Regenbögen um ihn herum, und er hielt sich an dem Felsbrocken fest.
Fast zuhause, dachte er. Fast in Sicherheit.
» Du tust mir weh«, hörte er plötzlich die Stimme von Chryssa. Talaban riss die Augen auf. Er sah ihren zerbrechlichen Körper, die splitternden Risse, die unter dem Druck seiner Hand auf ihrem kristallenen Arm auftraten. » Warum willst du mir weh tun?«
» Ich will dir nicht weh tun«, sagte er zu ihr.
» Zwischen den Sternen war ich in Sicherheit. Wenn du mich zurückbringst, werde ich mich in Glas und Staub verwandeln.«
Er schloss fest die Augen und ignorierte sie, während er weitereilte. Ein lautes Brüllen drang ihm in die Ohren, gewaltige Krallen zerfetzten sein Gesicht, rissen ihm das linke Auge aus und gruben sich tief in seine Brust. Ein Löwe presste sich gegen ihn, grub seine Reißzähne in seine Schulter, zerbrach seine Knochen.
Dennoch hielt er seine schwarze Mähne fest in den Fäusten.
Ich sterbe, dachte er. Solche Wunden kann man nicht überleben.
Der blaue Planet raste auf ihn zu, und er spürte, wie sein Kopf auf den Teppich in seiner Kajüte prallte.
Mondstein neben ihm stöhnte. Talaban richtete sich mühsam auf die Knie auf und schüttelte den Stammesmann.
Mondstein schlug die grünen Augen auf. » Ich schlafe jetzt«, sagte er und sackte nach vorn.
Talaban ließ den Medizinbeutel neben dem bewusstlosen Mann fallen, stand auf und ging wieder zu seinem Schreibtisch zurück. Sein Körper wies keinerlei Verletzungen auf, keine Wunden, keine gezackten Löcher. Aber ihm schwindelte immer noch bei der Erinnerung an den Schmerz.
Das war ausgesprochen dumm, schalt er sich.
Chryssa kam ihm in den Sinn. Instinktiv versuchte er ihr Bild zu unterdrücken, doch dann begriff er, dass ihr Verlust ihn nicht mehr quälte. Zögernd ließ er die Erinnerungen an sie zu, an ihre gemeinsamen Spaziergänge in den hohen Hügeln, über die von Frühlingsblumen übersäten Wiesen, und wie sie zögerte, auf die Blüten zu treten. Sie hatte sorgsam einen Weg zwischen ihnen gesucht, mit zierlichen, anmutigen Bewegungen. Die Erinnerung war angenehm und wunderschön. In dem Augenblick begriff Talaban endlich, was für ein Narr er gewesen war. Indem er rücksichtslos alle Gedanken an Chryssa unterdrückt hatte, hatte er mit der Verzweiflung auch die Freude begraben. Du bist ein Idiot!, sagte er sich.
Er öffnete die hintere Tür seiner Kajüte und trat auf seinen kleinen, privaten Balkon hinaus. Die Sterne schimmerten hell am Nachthimmel. Plötzlich tauchte ein Licht im Osten auf. Talaban hob den Blick…
…und sah einen zweiten Mond am Himmel leuchten.
Im selben Moment begann das Meer zu kochen und
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