Der Weg der Helden
So wie als Kind, als die Welt voller Wunder war. Was ist mit mir geschehen? Wie habe ich diese jugendliche Leidenschaft verlieren können, diesen Glauben an die Menschlichkeit?«
» Es war ein ganz langsamer Prozess«, erwiderte sie. » Deshalb hast du nicht gemerkt, was du verlorst. Es ist die Natur der Menschen, Mauern um sich herum zu errichten. Sie glauben, sie würden sich damit vor Verletzungen schützen. Aber sie tun das Gegenteil. Der Schmerz kommt immer noch herein, aber jetzt hämmert er gegen die Wände, von innen, unfähig herauszukommen. Also baut ihr noch mehr Mauern. Jetzt siehst du die Welt ohne Mauern. Du bist frei, Ro. Frei, Schmerzen zuzufügen, und frei, sie zu heilen.«
» Was soll ich tun?«
Da lächelte sie ein strahlendes Lächeln, beugte sich vor und nahm seine Hand. » Geh und nimm dein Bad. Dann ruh dich aus. Morgen werde ich mit dem Questor General sprechen. Du wirst ihn hierherholen.«
» Bist du immer noch bereit, uns zu helfen?«
» Ich werde euch bei eurem Kampf gegen die Almecs unterstützen.«
Kapitel 19
Als Ro das Gartenzimmer verließ, erloschen die Laternen erneut. Sofarita schloss die Augen und befreite ihren Geist, erhob sich und flog hoch über den Ozean. Sie flog so schnell, dass sie die untergehende Sonne einholte, beobachtete, wie sie majestätisch im Westen aufzugehen schien. Als einfache Dorfbewohnerin hatte sie angenommen, die Erde wäre eine riesige, flache Scheibe, um die sich die Sonne langsam drehte. Es hatte sie überrascht und entzückt herauszufinden, wie sie wirklich geformt war und wo am Himmel sich ihr Platz befand. Jetzt erlebte sie ein anderes Entzücken. Der westliche Kontinent war in Sonnenschein getaucht, während die restlichen Länder von einem Umhang der Dunkelheit bedeckt waren. Sie war in wenigen Herzschlägen von Mitternacht zu Nachmittag gereist.
Das Land unter ihr war zerklüftet und bergig, die Täler fruchtbar und grün, die Flüsse riesig und funkelnd. Im Norden sah sie noch mehr Berge, schneebedeckt und uralt. Sie flog nach Süden, über Berge, Hügel und riesige Steppen. Weit unter sich sah sie eine gewaltige braune Schlange, die langsam durch das Grasland glitt. Als sie tiefer sank, begriff sie, dass sie eine riesige Herde von zotteligen braunen Tieren vor sich sah, die einem Flusslauf folgten. Es waren zu viele, als dass sie sie hätte zählen können, und die ganze Herde zog sich über mehrere Meilen hin.
Sie flog weiter, erhob sich über Wälder mit riesigen Bäumen, über glitzernde Seen, gespeist von rauschenden Wasserfällen, die das Schmelzwasser aus den Bergen herabführten.
Die ersten Menschen, die sie sah, lebten an einem See. Ihre spärlichen Unterkünfte bestanden aus Häuten, die man über Stangen gespannt hatte. Am Ufer spielten etliche Kinder, während vier Frauen Häute zum Trocknen auslegten und das Fett mit scharfen Steinen abkratzten. Männer waren nicht zu sehen, und Sofarita vermutete, dass sie auf der Jagd waren.
Sie flog weiter nach Süden und stieß schnell auf größere Lager. Als sie über einem schwebte, das sich über beide Ufer eines breiten Flusses erstreckte, spürte sie ein Prickeln, als hätte jemand seinen Geist ausgeschickt und sie berührt.
Überrascht und auch ein kleines bisschen furchtsam setzte sie den Flug ihres Geistes fort.
Sechzig Meilen weiter sah sie Geier unter sich, die fraßen. Andere kreisten am Himmel. Sie sank tiefer und sah Hunderte von menschlichen Leichen, die auf dem Boden ausgestreckt lagen. Die Geier hatten bereits an ihnen gefressen, aber sie sah auch etliche Leichen, die von den Aasfressern noch nicht entstellt worden waren. Jeder der Toten hatte eine aufgerissene Brust, aus der das Herz herausgerissen worden war.
Zorn durchfuhr sie, und sie erhob sich erneut in die Luft. Weiter im Süden sah sie eine andere Armee der Almecs, die hinter einem kleinen Wald lagerte. Es waren etwa fünfhundert Krieger, die mit Feuerstöcken und kurzen Schwertern bewaffnet waren. Etwas weiter links von ihnen saßen etwa zwei Dutzend Krals in einem Kreis um ein Feuer. Dazwischen hockten etwa hundert Gefangene, angeleint und gefesselt, elend im Freien.
Sie flog weiter, bis sie eine riesige Böschung erreichte, die sich wie eine Mauer quer durch das Land zog. Sie war fast siebzig Meter hoch, vollkommen blank und steil und wirkte auf eine unheimliche Art und Weise deplatziert. Zu ihren Füßen wuchs ein Wald. Sofarita blickte hinab und sah, dass Hunderte von Bäumen zerschmettert waren, so als
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