Der Weg der Helden
und flüchtigem Verlangen. Ich kann mich daran erinnern, wie schön sich das anfühlte, das Gras unter den Füßen, der Duft der Sommerblüten in der Luft, der Geschmack von Wein auf der Zunge. Und vor allem das Gefühl des warmen Körpers eines Mannes, der sich gegen deine Haut presst. All diese Dinge sind jetzt für mich verloren. Wie sie auch bald für dich verloren sein werden.«
» Was willst du damit sagen?«, fragte Sofarita, während sich eine schreckliche Furcht in ihr ausbreitete.
» Ich glaube, du ahnst bereits die Antwort, Sofarita. Es gibt gewisse Menschen, die niemals mit einem Heilkristall hätten in Kontakt kommen dürfen. Einige wenige, man mag sie glücklicher nennen oder nicht, werden von diesem Kristall geküsst. Sein Kuss verwandelt sie rasch in Glas, sie zerbersten und sterben. Seltener sind die Fälle, in denen Menschen durch den Kuss zu Kristallgebundenen werden. In ihnen bündelt sich die Macht der Kristalle und wird freigesetzt. Und warum? Weil ihnen bestimmt ist, der letzte, endgültige Kristall zu werden. Oh ja, es geht langsam vonstatten. Und, ja, es ist unendlich schmerzhaft. Zuerst fällt dir der Glanz der Haut auf, was du ja bereits bemerkt hast, auf Stirn und Wangenknochen, am Knöchel und Kinn. Doch das ist nur der Anfang. In einem Jahr wirst du dich kaum noch bewegen können. Nach zwei Jahren bist du vollkommen gelähmt, starr wie eine Statue. In fünf Jahren ist dein Körper kaum noch zu erkennen. Er wird sich vollkommen verändern. Aber unendlich langsam. Im zwanzigsten Jahr ist kaum noch etwas Menschliches an dir. Und nach fünfzig Jahren bist du nur noch ein Block aus wunderschönem Kristall. In dem du noch eine Weile länger lebst. Weitere hundert Jahre vielleicht. Es sei denn natürlich, du wirst gefüttert. Es sei denn, das Leben spült über dich hinweg, und zwar in der Ergiebigkeit des Blutes. Solange dies geschieht, wirst du mächtig bleiben und ewig existieren. Ist es das, wonach du verlangst?«
» Nein, das werde ich nicht zulassen. Lieber werde ich sterben.«
Perlendes Gelächter erfüllte Sofaritas Kopf, ein metallisches, künstlich klingendes Geräusch. » Ich glaube, ich habe damals dasselbe gesagt«, erklärte Almeia. » Aber ich kann dir helfen, Liebes.«
» Warum solltest du das tun?«
» Ist die Antwort nicht offenkundig? Was wäre wohl der Vorteil, wenn zwei Kristallköniginnen existierten? Möchtest du meine Hilfe?«
» Du bist böse«, erwiderte Sofarita. » Das weiß ich. Und dem Bösen darf man nicht trauen.«
» Solch alberne Worte sind nur etwas für schlichte Gemüter, Sofarita. Ist die Sonne böse? Oder das Meer? Beide töten, beide spenden Leben. Das macht sie noch lange nicht böse. Alles, was ich tue, dient der Selbsterhaltung. Das können alle Kreaturen aus Fleisch und Blut verstehen. Ich töte, um zu leben. So wie du. Jeder Bissen Fleisch, den du verzehrst, stammt von einer lebenden Kreatur, die nicht freiwillig für dich gestorben wäre. Macht dich das etwa böse, Sofarita?«
» Ich lasse nicht Kinder lebendig für mich begraben, um mich von ihnen zu nähren, und ich reiße auch Kriegsgefangenen nicht das Herz aus der Brust.«
» Ah, wir sprechen also nur über den Maßstab. Ein Lamm ist Nahrung, zehn Lämmer sind ein Festmahl, tausend Lämmer sind Völlerei. Was also erzeugt dann das Böse? Der Tod von einer Million Lämmern? Und was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Lamm? Alles stirbt. Die meisten Menschen sterben völlig nutzlos. Diejenigen, deren Leben das meine nährt, dienen wenigstens einem Zweck. Dafür gebe ich meinem Volk Wohlstand und halte Not und Krankheit von ihm fern. Meinen vertrauenswürdigsten Ratgebern gewähre ich ebenfalls ewiges Leben. Sie könnten dir entgegnen, dass alles, was ich tue, dem allgemeinen Wohl dient.
Lass uns jedoch über das sprechen, was gut für dich wäre. Ich kann dir deine Macht nehmen und sie an mich ziehen. Sie wird mir nicht schaden. Und du würdest wieder ein Bauernmädchen werden und deine weiche Haut behalten.«
Sofaritas Geist blickte tief in Almeias grüne Kristallaugen. » Wie würdest du das tun?«, erkundigte sie sich.
» Du brauchst dich nur zu entspannen. Dann bekommst du die Freiheit zurück, dein Leben so zu leben, wie es dir gefällt.«
Sie lügt, mischte sich eine andere Stimme ein. Sie will, dass du stirbst!
Sofarita lehnte sich auf dem Sessel zurück, während ihr Geist müde wurde und sich ihre Gliedmaßen entspannten.
Sie hat schon angefangen!
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