Der Weg der Helden
wäre der ganze Wall wie ein Hammer aus dem Himmel auf den Wald herabgesaust.
Das war das Land der Almecs.
Sie flog höher, über Städte aus fremdartigen Steinen, die mit Geschick und Klugheit errichtet worden waren, mit Kanälen und breiten Straßen, auf denen es von Menschen wimmelte. Doch in allen Städten waren Schäden von Erdbeben zu sehen. Viele Gebäude wiesen gezackte Risse in ihren Mauern auf, andere waren eingestürzt. Ein Kanal war völlig ausgetrocknet, seine Wände zusammengebrochen. Je weiter nach Westen sie flog, desto größer wurden die Schäden. Am westlichsten Rand dieses neuen Landes stieß sie auf die Reste einer Stadt, die schreckliche Zerstörungen aufwies; die Erde war teilweise gewaltig aufgeworfen, und die Gebäude, die noch einigermaßen erhalten waren, ragten in unglaublichen Winkeln aus dem Boden heraus. Die meisten jedoch lagen in Schutt und Asche, und ihre Ruinen bedeckten den Hang darunter. Sofarita betrachtete das Gebiet. Es sah aus, als hätte eine gigantische Hand diesen hundert Meilen breiten Abschnitt gepackt und ihn hochgerissen. Als sie weiter nach Westen flog, sah sie auch den Grund dafür.
Die Gebiete der Almecs, die sie durch die Transportierung hatten retten können, hatten sich offenbar zum größten Teil auf einer riesigen, flachen Ebene befunden. Der Aufprall hier auf diesem Land hatte die Erdbebenschäden verursacht, die sie gesehen hatte. Und hier gab es auch keinen Wall. Sondern dieser kleine Teil des Landes war auf einer Bergkette gelandet, welche die Erde von unten wie Speere durchbohrt hatte. Die Zahl der Toten unter den Almecs musste ungeheuer groß gewesen sein.
Sofarita flog zurück nach Osten. Die Hauptstadt der Almecs erhob sich in der Ferne, und sie sah den goldenen Stufenturm, der im Licht der untergehenden Sonne gleißte und in dem die Kristallkönigin Hof hielt.
Kristallkönigin!
Der Titel überraschte sie. Woher war er gekommen? Sie hatte Questor Ro zwar erzählt, dass der goldene Stufenturm irgendwie lebte, jetzt jedoch wusste sie instinktiv, dass er die… die Seele?… einer Frau enthielt. Erneut hatte sie das Gefühl, als würde jemand nach ihrem Geist greifen, doch im Gegensatz zu der beinahe sanften, zarten Berührung, die sie über dem Stammeslager empfunden hatte, war dieser Griff barsch und von eisiger Bösartigkeit.
» Wer bist du?« Die Stimme erklang süß und unwiderstehlich in ihrem Geist, aber Sofarita registrierte die rohe, schreckliche Macht, die darin mitschwang.
Sie flüchtete auf der Stelle, flog schneller als zuvor, eilte den nächtlichen Ländern des Ostens entgegen.
Als sie wieder in ihrem Körper war, streckte sie die Hand nach dem Kamin aus. Zwei Holzscheite hoben sich von dem Vorrat und legten sich auf das sterbende Feuer. Als die Flammen daran hochzüngelten, blickte Sofarita auf ihre zitternden Hände. Sie glänzten, als wären sie eingeölt. Leicht strich sie sich über die Haut an ihren Knöcheln. Sie war jetzt so glatt wie glasiertes Steingut. Sie bog ihre Finger. Sie fühlten sich steif und wund an.
» Das ist erst der Anfang«, meldete sich die Stimme in ihrem Kopf. Es war dieselbe Stimme wie die über dem Stufenturm, und sie klang kalt und unendlich grausam. Sofarita erschauerte.
Eine Vision drängte sich vor ihr inneres Auge. Sie sah eine junge Frau mit glatten weißen Haaren und großen, grün schimmernden Augen. Das Gesicht kam näher. Sofarita bemerkte, dass die Augen aus Kristallen bestanden, glänzenden Kristallen mit vielen Facetten. » Ich bin Almeia«, sagte sie.
» Du regierst die Almecs. Du bist die Kristallkönigin.«
» So nennt man mich.«
» Was willst du von mir?«
» Ich will nichts, mein Kind. Ich bin ewig und vollkommen. Allerdings habe ich mich auch für einzigartig gehalten. Stell dir also meine Überraschung vor, als ich dich über meinem Heim gespürt habe, meinem Ruheplatz, meinem Grabmal. Wie fühlt es sich an, Sofarita, eine solche Macht zu besitzen, durch die Himmel zu streifen und in den Herzen der Menschen zu lesen?«
» Furchteinflößend«, erwiderte Sofarita.
» Furchteinflößend? Ja, ich kann mich an dieses Gefühl erinnern. Aber es geht vorbei. Alles geht vorbei. Außer dem Wissen. Es wächst und wächst unaufhörlich. Natürlich ist dafür ein Preis zu bezahlen … wie du noch herausfinden wirst. Einige mögen es einen schrecklichen Preis nennen. Auch ich dachte das einmal.«
» Was ist das für ein Preis?«
» Einst war ich wie du, eine Kreatur aus weichem Fleisch
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