Der Weg der Helden
» Nein, Kapitän. Sie ist verschwunden.«
» Was hältst du von ihr? Ich bin nicht an ihrer Schönheit interessiert. Stellt sie eine Gefahr für mein Volk dar?«
» Wie soll ich das wissen?«, erwiderte Mondstein. » Aber sie spricht mit Einäugiger-Fuchs. Er sagt, sie kämpft gegen Almecs. Hältst du es für richtig, sie zu töten?«
» Nein, das tue ich nicht. Aber es bringt mich in eine schwierige Lage. Ich bin ein Diener des Konzils, und es ist meine Pflicht, ein Treffen mit jemandem zu melden, der zum Feind der Avatar erklärt worden ist.«
» Rede erst, melde später«, gab Mondstein zurück.
Talaban seufzte. » Traust du ihr?«
» Gute Frau«, meinte der Anajo.
» Ich vertraue dir. Wir werden mit ihr sprechen.«
» Trag schöne Kleider«, riet Mondstein ihm.
Talaban lachte, laut und melodiös. Sofarita war verblüfft, welche Veränderungen dieses Lachen in ihm erzeugte. Verschwunden war die Härte, war einer jungenhaften Herzlichkeit gewichen, die Harmonie ausstrahlte.
Und doch erfüllte sie das mit dem Wissen um ihren eigenen bevorstehenden Untergang. Sie stieg empor, flog durch die Decks des Schiffs und zurück in ihren Körper.
Wie üblich nach einem solchen magischen Flug erwachte sie erfrischt und ausgeruht. Sie reckte sich und erhob sich aus dem Sessel. Ein Schatten huschte an der Tür gegenüber vorbei, und sie dachte, Questor Ro sei aufgewacht. Dann huschte ein zweiter Schatten vorbei. Sofarita spürte eine Veränderung in der Luft, ein Prickeln, das ihr Angst einflößte. Sie bewegte sich schnell und lautlos durch den Raum und trat in den dunklen Flur. Sie sah gerade noch eine Gestalt, die vom oberen Treppenabsatz aus in den Gang dahinter verschwand. Sie schickte ihren Geist aus und tastete nach den Emotionen des Mannes über ihr. Er dachte an ein Messer, an Blut und Tod. An den Tod eines verhassten Avatar.
Questor Ro!
Sofarita rannte die Treppe hinauf. Die Tür zu Questor Ros Raum stand offen. Sie trat ein. Zwei Männer befanden sich darin. Beide hatten schwarze Tücher über ihre Gesichter gebunden und waren mit Messern bewaffnet. Einer näherte sich dem Bett, in welchem der kleine Mann schlief. Er hob das Messer… und stach zu. Sofarita machte unwillkürlich eine Handbewegung. Die Klinge wurde Zentimeter vor der Kehle des schlafenden Mannes aufgehalten, zur sichtlichen Verblüffung des Angreifers. Der zweite Mann sah sie und stürzte sich auf sie. Sein Messer fiel ihm aus den Fingern und landete klappernd auf dem Steinboden. Questor Ro erwachte und fuhr mit einem Ruck hoch. Der erste Messerstecher versuchte erneut, ihn zu erdolchen. Diesmal flog ihm das Messer aus den Fingern, landete an der Decke und blieb dort flach liegen, als läge es auf dem Boden.
» Was ist passiert?«, schrie Ro. » Wie könnt ihr es wagen…?«
» Alles ist gut, Questor«, erwiderte Sofarita. » Diese Männer hier sind Pajisten. Aber sie werden dir nichts zuleide tun.« Ro sah zu dem Messer hoch, das an der Decke klebte.
» Sie sind gekommen, um mich zu töten«, sagte er. » Ich werde die Wache rufen.«
» Nein«, widersprach Sofarita. » Sie werden zu dem Mann zurückkehren, der sie geschickt hat. Und er wird eine Nachricht an den Anführer der Pajisten senden. Ich werde diesen Anführer morgen Mittag besuchen. Du«, sie deutete auf den Mann am Bett, » streck deine Hand aus.« Er gehorchte zögernd. Das Messer schwebte langsam von der Decke herunter und landete sanft in seiner Handfläche. » Geh jetzt und überbringt meine Nachricht. Und erklärt auch, dass es keine weiteren Angriffe mehr geben wird.«
Der zweite Mann hob sein Messer vom Boden auf, und beide Meuchelmörder traten um Sofarita herum und verließen den Raum. Sie hörte, wie die Männer die Treppe hinabpolterten.
» Du kennst den Anführer der Pajisten?«, erkundigte sich Ro.
» Jetzt ja.«
» Warum hast du sie laufen lassen? Wir hätten sie alle verhaften können.«
» Und zu welchem Zweck, Questor? Dies ist nicht der richtige Moment für Vergeltung, sondern für Versöhnung. Die Pajisten haben vielfältige Kontakte zu den Stämmen. Vor allem zu den Erek-jhip-zhonad. Du wirst ihre ganze Unterstützung brauchen, um den Sieg der Almecs zu verhindern.«
Ro fröstelte. » Auf einmal bin ich nicht mehr müde«, erklärte er. » Und ich danke der Quelle, dass du hier warst.«
Es war ein altes Haus, vor fast einem Jahrhundert für eine Familie der Avatar erbaut. Es hatte drei Stockwerke und war mit blau geädertem weißem Marmor
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