Der Weg der Helden
und die Expedition nur wegen der einst so makellosen Reputation von Questor Ro mitfinanziert hätte. Die anderen würden sich den beiden anschließen, und Ros Macht im Konzil würde deutlich schwinden.
So weit wird es nicht kommen, sagte er sich. Ich werde es nicht zulassen. Doch die Samen des Zweifels keimten, noch während er sich dieses Versprechen gab. Seine Annahme, dass seine neu entworfenen Pyramiden sich mit der Großen Ader verbinden konnten, traf zu. Denn sie hatten es bereits getan. Und zwar mit Leichtigkeit. Nur konnten sie diese Verbindung nicht aufrechterhalten.
Denk nach, befahl er sich. Die Ader konnte sich unmöglich bewegen. Die Emanationen strahlten von der Weißen Pyramide aus, die etwas mehr als sechzig Meilen entfernt war, begraben unter einem Berg aus Eis. Es war ein festes Objekt, das sich an einer bestimmten Stelle befand. Folglich sollten die Energielinien gerade und konstant sein und, sobald man sie einmal gefunden hatte, eine Vereinigung ermöglichen. Dennoch war es, als sei die Energiequelle ständig in Bewegung wie ein furchtsames Stück Wild.
Irgendetwas übersiehst du, sagte er sich.
Questor Ro stand auf und nahm aus einem kleinen Kästchen auf seinem Schreibtisch seine Kristalle, den weißen, den blauen und den grünen, und dazu einen Handschuh aus weißer Spitze. Er hob den Handschuh an seine Lippen, küsste ihn und begann so das zweite der Sechs Rituale. Er hätte die Energie der Kristalle lieber aufgespart, aber die Müdigkeit lähmte seine Gedanken. Langsam ließ er sich von der Macht der Kristalle durchdringen und fühlte neue Kraft in sich entstehen.
Dann hielt er den Handschuh an sein Gesicht, entspannte sich, bis er in Trance fiel und sein Geist durch die Zeiten zurückfloss. Er stellte sich den Park vor, den Hain aus blühenden Bäumen neben dem Teich mit der Fontäne. Er sah sich dort sitzen, Tanya neben sich, und ihre Kinder spielten zu ihren Füßen. Die strahlende Sonne stand hoch am Himmel, und der Park war erfüllt von der sanften Wärme des Frühherbstes. Er beschwor immer dasselbe Bild. Ihm fiel auf, dass es Zeiten gab, wo wahre Schönheit zart am Bewusstsein vorüberstreicht, unsichtbar wie ein Windhauch. Der Tag im Park war angenehm gewesen. Mehr nicht. Er hatte gelächelt, während seine drei Kinder spielten. Er hatte Tanyas Hand geküsst. Aber sein Verstand war mit einem mathematischen Problem beschäftigt gewesen, und er hatte es eilig gehabt, in sein Arbeitszimmer zurückzukehren und daran weiterzuarbeiten. Hätte er da doch nur einen Augenblick in die Zukunft blicken können. Hätte er nur geahnt, dass er anschließend siebzig einsame Jahre lang immer wieder dieses uralte Bild beschwören würde wie ein Mann, der stets aufs Neue seinen größten Schatz hervorkramt.
Er hatte Tanya von diesem mathematischen Problem erzählt. » Du wirst es lösen«, hatte sie vollkommen überzeugt erwidert. Ihre Gewissheit hatte ihn angespornt. Und sie war auch einer der Gründe, warum er sie so sehr geliebt hatte.
Jetzt jedoch sah er sich einem noch größeren Problem gegenüber, und sie war nicht mehr da, um ihn mit ihrer Zuversicht zu stützen.
Als er schließlich die tränennassen Augen öffnete, fühlte er sich ruhiger.
Er wischte die Tränen weg und konzentrierte sich wieder auf das eigentliche Problem. Die Weiße Pyramide, begraben unter dem Eis, konnte sich nicht fortbewegen. Diese Tatsache war unbezweifelbar, stand außerhalb jeder Diskussion. Welche Erklärung gab es denn dann für dieses Phänomen? Er trat an das Fenster, rieb das Eis vom Glas und starrte hinaus, über die weißen Berge hinweg. Seine Männer kehrten gerade zurück, und eine zweite Gruppe wartete bereits, stand zitternd auf dem Deck über ihm. Schon bald musste er sich ihnen anschließen. Questor Ro war kein Narr. Er spürte, dass endlose Tage bei dem Versuch verstreichen konnten, eine Vereinigung herzustellen. Und er hatte Talaban Ergebnisse versprochen.
Er zupfte an seinem gegabelten Bart. Die Antwort war da irgendwo, er musste sie nur finden.
Er hüllte sich in seinen Mantel, verließ die Kabine, stieg die Wendeltreppe hinauf und trat auf das Zentraldeck hinaus. Seine zweite Arbeitsgruppe, ein Dutzend Männer, drängte sich eng zusammen und sah dem silbernen Langboot entgegen, das gerade zurückkehrte. Als er zu ihnen trat, ertönte ein Geräusch wie ferner Donner, und ein gewaltiges Stück Eis brach von einem nahe gelegenen Gletscher ab, klatschte in das ruhige Wasser der Bucht und
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