Der Weg der Helden
einfühlsam er mit Pendar umgegangen war. Sie fragte sich, wie es sich anfühlen würde, Talabans Haut zu berühren, mit ihren Fingern über seine Wange zu streichen. Einen Moment lang war sie wieder ein Bauernmädchen und erinnerte sich an ihr erstes Mal mit Veris. Nur war es in ihrer Vorstellung nicht Veris, den sie berührte, sondern der schlanke, kräftige Körper von dem Avatar Talaban.
Die Realität traf sie wie ein Eishauch.
Du bist kein Bauernmädchen mehr. Du bist eine Göttin.
Eine sterbende Göttin.
Questor Ro fand keinen Schlaf. Es war ein langer Tag gewesen, an dem er die Ausbildung der neuen Rekruten in den drei Kasernen beaufsichtigt hatte. Es war keine leichte Aufgabe. Tausende von Vagaren meldeten sich freiwillig, und jeder einzelne musste körperlich untersucht und ausgiebig befragt werden. Die wartenden Männer bildeten gewaltige Schlangen, die sich um die Gebäude wanden und die Durchgangsstraßen blockierten. Ro war gerufen worden, um das Chaos zu ordnen. Als er in den Kasernen ankam, war er zunächst auf Rael und Mejana gestoßen. Die beiden waren in eine hitzige Debatte verstrickt. Sie wollte wissen, warum gesunde junge Männer nicht einfach unterschrieben und dann einer Einheit zugeteilt wurden. Rael versuchte ihr zu erklären, welche militärischen Auswirkungen ein solches Vorgehen hätte. Keiner der beiden schien auf den anderen zu hören.
Ro mischte sich ein. » Wenn ich etwas dazu sagen darf?«, meinte er. Mejana bemühte sich, ihre Wut im Zaum zu halten. Rael seinerseits war ganz bleich vor Zorn. Beide nickten. » Ich möchte zunächst Eure beiden Standpunkte zusammenfassen«, fuhr Ro dann fort. » Der Questor General sorgt sich vor allem darum, dass unsere neue Armee diszipliniert und effektiv bleibt. Ihr, Mistress, bezweifelt die Notwendigkeit einer solch gründlichen Befragung und fürchtet, dass es Teil eines geheimen Plans der Avatar sein könnte, die Kontrolle über die Armee zu behalten.«
» Ganz genau«, erwiderte Mejana.
» Ich habe, wie Rael weiß, keine militärische Ausbildung genossen«, erklärte Ro. » Aber ich kenne gewisse Prinzipien, die grundsätzlich anwendbar sein sollten. Unsere Armee mag klein sein, hat sich jedoch über die Jahre hinweg als sehr effektiv erwiesen. Die Befehlskette ist allen klar, Offiziere und Soldaten kennen sich gegenseitig. Wenn Befehle gegeben werden, werden sie schnell und effizient ausgeführt. Ein allzu großer Zuwachs von nicht ausgebildeten Rekruten könnte sich als verderblich herausstellen. Soweit ich weiß, hat der Questor General vor, eintausend neue Soldaten einzugliedern. Das würde die Zahl unserer Streitkräfte beinahe verdoppeln.«
» Wir könnten zwanzigtausend Männer auf das Schlachtfeld schicken«, erwiderte Mejana. » Dann wären wir den Almecs zahlenmäßig fünffach überlegen.«
» Und wir können dabei zusehen, wie sie alle abgeschlachtet werden!«, fuhr Rael hoch.
» Bei allem Respekt, Mistress«, mischte sich Ro beruhigend ein, » und ich meine › mit Respekt‹, denn ich glaube, dass Ihr eine bemerkenswerte Frau seid, aber Ihr bewegt Euch da auf einem Gebiet, das euch fremd ist. Was ich eben über die Befehlsketten gesagt habe, ist nicht nur wichtig, sondern unabdingbar. In jeder Schlacht muss ein General in der Lage sein, seine Strategie zu ändern und entsprechende Befehle zu geben. Dazu muss er davon ausgehen, dass sie rasch umgesetzt werden. Ihr dagegen schlagt vor, sich den Almecs als ein undisziplinierter Haufen entgegenzuwerfen. Wir Avatar haben gegen viele solcher Armeen gekämpft und immer gewonnen. Bereits beim ersten Angriff werden Hunderte dieser Leute getötet. Der Rest wird sehr schnell demoralisiert. Einige entschließen sich wegzulaufen, was Verwirrung und sehr häufig auch Panik erzeugt. Wir haben nicht die Zeit, eine riesige Streitmacht auszubilden. Aber ich glaube, ich weiß einen Kompromiss.«
» Das muss aber ein verdammt guter Kompromiss sein«, knurrte Rael.
» Wir sollten zwei Armeen aufstellen«, erklärte Ro. » Die erste besteht aus regulären Truppen; wir setzen unsere Überprüfung wie zuvor fort und suchen nur eintausend der kräftigsten und fähigsten Männer aus. Die zweite Streitmacht wird eine Miliz sein und durch von uns ernannte Kommandeure in jedem Bezirk befehligt werden. Diese Männer werden die Mauern verteidigen falls nötig oder auf den Straßen kämpfen, wenn die Mauern durchbrochen wurden. Jeder Bezirkskommandeur wird Unterkommandeure ernennen, die die
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