Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
Da Gavilar tot war, hatte er sie so zu behandeln, als wäre sie seine Schwester. Und was war mit seiner eigenen Frau? Sie war jetzt zehn Jahre tot und durch seine eigene Dummheit aus seinem Gedächtnis gestrichen. Selbst wenn er sich nicht mehr an sie erinnern konnte, sollte er sie doch ehren.
Warum war Navani zurückgekehrt? Als einige Frauen sie grüßten, machte sich Dalinar rasch auf den Weg zum Tisch
des Königs. Er setzte sich, und sofort erschien ein Diener mit einem Teller für ihn – seine Vorlieben waren offenbar bekannt.
Es war ein dampfendes Pfefferhühnchen, in Medaillons geschnitten und auf gebackenen, runden Tenemstücken drapiert, einem hell orangefarbenen Gemüse. Dalinar nahm sich ein Stück Flachbrot und holte sein Essmesser aus der Scheide an seiner rechten Wade. Solange er aß, würde es eine Verletzung der Etikette bedeuten, wenn sich Navani ihm näherte.
Das Essen war gut. So war es immer auf Elhokars Festen – in dieser Hinsicht war der Sohn ganz so wie der Vater. Elhokar nickte Dalinar vom Ende des Tisches her zu und führte dann sein Gespräch mit Sadeas fort. Großprinz Roion saß einige Stühle von ihm entfernt. Dalinar hatte in ein paar Tagen eine Verabredung mit ihm; er war der erste der Großprinzen, den er zu einem gemeinsamen Plateauangriff versuchen würde zu überreden.
Keine anderen Großprinzen setzten sich in Dalinars Nähe. Nur sie – und Personen mit einer besonderen Einladung – durften am Tisch des Königs Platz nehmen. Ein Glücklicher, der eine Einladung erhalten hatte, saß links von Elhokar, und er wusste offensichtlich nicht, ob er sich an dem Gespräch beteiligen oder lieber schweigen sollte.
Wasser gurgelte in dem Strom hinter Dalinar. Vor ihm ging das Fest weiter. Es war eine Zeit des Entspannens, aber die Alethi waren ein zurückhaltendes Volk, wenn man es mit den leidenschaftlicheren Hornessern oder den Reschi verglich. Dennoch schien Dalinars Volk seit seiner Kindheit üppiger und ausschweifender geworden zu sein. Der Wein floss reichlich, das Fleisch brutzelte wohlriechend. Auf der ersten Insel waren einige junge Männer für ein freundschaftliches Duell in einen Ring gestiegen. Auf solchen Festen fanden sie oft Gelegenheit, ihre Mäntel abzulegen und ihre Kampfeskunst zu beweisen.
Die Frauen waren in ihren Zurschaustellungen zwar schicklicher, aber auch sie verzichteten nicht ganz darauf. Auf Dalinars Insel hatten einige Frauen Staffeleien aufgestellt und malten, zeichneten oder kalligraphierten. Wie immer hielten sie die linke Hand im Ärmel verhüllt und schufen mit der rechten zarte Kunstwerke. Dabei saßen sie auf hohen Schemeln von der Art, wie ihn auch Schelm benutzte – vermutlich hatte er ihn für seine kleine Vorführung sogar von hier gestohlen. Einige Frauen lockten Schöpfungssprengsel an, die über die Staffeleien und Tische rollten.
Navani hatte eine Gruppe wichtiger helläugiger Frauen an einem der Tische versammelt. Ein Diener lief vor Dalinar hin und her und brachte den Frauen etwas zu essen. Es schien ebenfalls exotisches Hähnchen zu sein, allerdings mit gedämpften Methi-Früchten und mit einer rotbraunen Soße übergossen. Als Junge hatte Dalinar einmal neugierig Frauenessen probiert. Er hatte es als ekelhaft süß empfunden.
Navani legte etwas auf den Tisch. Es war ein Gerät aus poliertem Messing, von der Größe einer Faust, und in seiner Mitte saß ein großer aufgeladener Rubin. Das rote Sturmlicht erhellte den ganzen Tisch und warf Schatten auf die weiße Tischdecke. Navani nahm das Gerät auf, drehte es und zeigte ihren Gefährtinnen die beinartigen Ausbuchtungen. Jetzt wirkte es fast wie ein Krustentier.
Ein solches Fabrial habe ich nie zuvor gesehen. Dalinar betrachtete ihr Gesicht und bewunderte die Umrisse ihres Halses. Navani war eine berühmte Herstellerin von Fabrialen. Vielleicht war dieses Gerät …
Navani warf einen Blick hinüber zu ihm, und Dalinar erstarrte. Sie schenkte ihm ein winziges Lächeln, verdeckt und wissend, und hatte sich schon wieder abgewandt, bevor er darauf reagieren konnte. Sturmverdammte Frau!, dachte er und wandte seine ganze Aufmerksamkeit überdeutlich wieder seinem Essen zu.
Er war hungrig – und bald schon so mit seinem Mahl beschäftigt, dass er beinahe nicht bemerkt hätte, wie sich Adolin ihm näherte. Der blonde Junge salutierte vor Elhokar, eilte dann zu Dalinars Tisch und nahm auf dem einen der beiden leeren Stühle neben ihm Platz. »Vater«, sagte Adolin mit gedämpfter
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