Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
doch ein paar Tage machen konnten! Er fühlte sich wie ein anderer Mensch – wie eine seltsame Mischung aus dem Menschen, der er einmal gewesen war, dem Sklaven, zu dem er geworden war, und dem erbärmlichen Wicht, gegen den er noch immer ankämpfen musste. Er erinnerte sich daran, wie er am Rande des Abgrunds gestanden und hinuntergesehen hatte. Diese Finsternis erschreckte ihn noch immer.
Wenn es mir nicht gelingt, die Brückenmänner zu retten, wird der erbärmliche Wicht wieder die Kontrolle übernehmen. Und diesmal wird er bekommen, was er haben will … Dieser Gedanke verursachte Kaladin eine Gänsehaut. Er legte seine Bündel am Rand der Kluft ab und setzte sich. Die anderen beiden folgten zögernd seinem Beispiel.
»Werfen wir sie in die Kluft?«, fragte Teft und kratzte sich am Bart. »Nach all der Arbeit?«
»Natürlich nicht«, sagte Kaladin. Er zögerte jedoch. Nomon leuchtete hell, aber es war noch Nacht. »Du hast keine Kugeln dabei, oder?«
»Warum?«, fragte Teft misstrauisch.
»Für Licht, Teft.«
Teft brummte etwas und zog schließlich eine Handvoll Granatstücke heraus. »Wollte sie heute Nacht ausgeben …«, sagte er. Sie glühten auf seiner Handfläche.
»In Ordnung«, sagte Kaladin und zog einen Knopfkrautstängel hervor. Was hatte sein Vater noch über sie gesagt? Vorsichtig
brach Kaladin das pelzige obere Ende des Stängels ab, fuhr mit den Fingern an ihm entlang und drückte ihn fest. Zwei Tropfen einer milchig weißen Flüssigkeit fielen in die leere Alkoholflasche.
Kaladin lächelte zufrieden und drückte den Stamm noch einmal auf der ganzen Länge ab. Diesmal kam nichts mehr heraus, also warf er die Pflanze in den Abgrund. Auch wenn er sich einen Hut wünschte, war es besser, keine Rückstände zu hinterlassen.
»Ich dachte, du hast gesagt, wir werfen sie nicht hinein«, klagte Teft.
Kaladin hielt die Flasche hoch. »Erst nachdem wir das hier herausgepresst haben.«
»Was ist das?« Fels beugte sich vor und kniff die Augen zusammen.
»Knopfkrautsaft. Oder eher Knopfkrautmilch – es ist eigentlich kein richtiger Saft. Wie dem auch sei, ein hochwirksames Desinfektionsmittel ist es.«
»Desi… was?«, fragte Teft.
»Es verscheucht die Fäulnissprengsel«, erklärte Kaladin. »Sie verursachen die Infektionen. Diese Milch ist das Beste, was es dagegen gibt. Sie wirkt sogar dann noch, wenn man sie auf eine schon entzündete Wunde streicht.« Das war auch gut so, denn Leytens Wunden wurden schon feuerrot, und die Fäulnissprengsel krochen überall auf ihr herum.
Teft grunzte und warf einen Blick auf die Flaschen. »Wir haben aber eine Menge Pflanzen.«
»Ich weiß«, sagte Kaladin und gab ihm die anderen beiden Flaschen. »Deswegen bin ich auch so froh, dass ich sie nicht alle allein melken muss.«
Teft seufzte, machte sich aber daran, eines der Bündel zu entknoten. Fels folgte seinem Beispiel, beschwerte sich jedoch nicht. Er hatte die Knie im Sitzen nach außen gerichtet und hielt mit den Füßen die Flasche, während er arbeitete.
Eine schwache Brise kam auf und raschelte im Kraut. »Warum kümmerst du dich so sehr um sie?«, fragte Teft schließlich.
»Sie sind meine Männer.«
»Das ist aber nicht die Aufgabe eines Brückenführers.«
»Seine Aufgabe ist das, was er dazu macht«, wandte Kaladin ein und bemerkte, dass Syl herübergekommen war und ihnen zuhörte. »Du, ich und die anderen, wir entscheiden darüber.«
»Glaubst du, sie lassen das zu?«, fragte Teft. »Die Hellaugen und die Hauptmänner?«
»Glaubst du, sie schenken uns so viel Aufmerksamkeit, dass sie es überhaupt bemerken?«
Teft zögerte, grunzte schließlich und melkte einen weiteren Stängel.
»Vielleicht doch«, sagte Fels. In den Bewegungen des großen Mannes lag eine bemerkenswerte Zartheit, als er die Stängel melkte. Kaladin hätte es niemals für möglich gehalten, dass diese dicken Finger so vorsichtig und genau arbeiten konnten. »Hellaugen bekommen oft Sachen mit, die sie gar nicht mitbekommen sollen.«
Teft stieß ein zustimmendes Grunzen aus.
»Warum bist du hier, Fels?«, fragte Kaladin. »Wie kommt es, dass ein Hornesser seine Berge verlässt und ins Flachland geht?«
»So was solltest du lieber nicht fragen, Söhnchen«, sagte Teft und wedelte mit dem Finger vor Kaladins Gesicht herum. »Wir sprechen nämlich nicht über unsere Vergangenheit.«
»Wir sprechen über gar nichts «, sagte Kaladin. »Ihr beiden kanntet doch nicht einmal den Namen des anderen.«
»Namen sind das
Weitere Kostenlose Bücher