Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
richtig einschätzen konnte. Ja … Kaladin blinzelte und betrachtete den Horizont. Da ist Rauch. Von Schornsteinen? Nun roch ihn Kaladin. Wenn der Wind nicht gewesen wäre, hätte er ihn schon früher bemerkt.
War das wichtig für ihn? Es war doch gleichgültig, wo er Sklave war, er würde immer nur ein Sklave sein. Er hatte sich mit seinem neuen Leben abgefunden. So war es nun einmal. Er sollte sich um nichts mehr kümmern.
Dennoch beobachtete er neugierig den Horizont, als sein Wagen einen Hügel hochrollte und den Sklaven eine gute Aussicht auf das gab, was vor ihnen lag. Es war keine Stadt. Es war etwas Größeres und Ausgedehnteres. Ein gewaltiges Armeelager.
»Grundgütiger Vater der Stürme …«, flüsterte Kaladin.
Zehn Truppenkontingente lagerten im vertrauten Alethi-Muster – im Kreis und nach dem Rang abgestuft. Das Gefolge befand sich am Rand, die Söldner waren in einem Ring kurz dahinter stationiert, die Bürgersoldaten in der Nähe der Mitte, die helläugigen Offiziere im Inneren. Sie hatten ihre Lager in einer gewaltigen kraterähnlichen Felsformation aufgeschlagen; nur die Ränder erschienen unregelmäßiger und zerklüftet. Wie zerbrochene Eierschalen.
Vor acht Monaten hatte Kaladin eine solche Armee verlassen, auch wenn Amarams Streitmacht wesentlich kleiner gewesen war. Diese hier bedeckte meilenweit den Steinboden und erstreckte sich sowohl nach Norden als auch nach Süden. Tausend Banner mit tausend verschiedenen Glyphenpaaren der einzelnen Häuser flatterten stolz im Wind. Es gab einige Zelte – hauptsächlich außerhalb der Armeen –, aber der größte Teil der Truppen hauste in riesigen ovalen Steinbaracken. Das bedeutete, dass sich Seelengießer unter ihnen befanden.
Das Lager unmittelbar vor ihnen zeigte ein Banner, das Kaladin in Büchern gesehen hatte. Es war tiefblau und trug weiße Glyphen – Khokh und Linil , stilisiert und als ein Schwert gemalt, das vor einer Krone stand. Das Haus Kholin. Das Haus des Königs.
Eingeschüchtert blickte Kaladin an den Armeen vorbei. Die Landschaft im Osten war genauso, wie sie ihm in Dutzenden verschiedener Geschichten beschrieben worden war, die allesamt den Feldzug des Königs gegen die Parschendi-Verräter zum Gegenstand hatten: eine gewaltige, zerklüftete Ebene aus Fels – so weit, dass er das andere Ende nicht erkennen konnte. Sie wurde von zwanzig oder dreißig Fuß breiten Spalten und Rissen durchzogen, die so tief waren, dass ihr Inneres in der Finsternis verschwand und sie darum ein Mosaik unebener Plateaus bildeten. Einige waren groß, andere winzig. Die ausgedehnte Ebene sah wie eine zerbrochene Schale aus, deren Teile mit kleinen Lücken dazwischen wieder zusammengesetzt worden waren.
»Die Zerbrochene Ebene«, flüsterte Kaladin.
»Was?«, fragte das Windsprengsel. »Was ist los?«
Verwirrt schüttelte Kaladin den Kopf. »Ich habe Jahre damit verbracht, diesen Ort zu finden. Das ist es, was Tien wollte, wenigstens zuletzt: hierherkommen und in der Armee des Königs kämpfen …«
Und nun war Kaladin tatsächlich hier. Endlich. Zufällig. Über diese Absurdität hätte er am liebsten laut gelacht. Ich hätte es erkennen müssen, dachte er. Ich hätte es wissen sollen. Wir waren gar nicht in Richtung der Küste und der Städte unterwegs. Dies hier ist immer unser Ziel gewesen. Der Krieg.
Dieser Ort unterstand den Gesetzen und Regeln der Alethi. Er hatte erwartet, dass Tvlakv solche Gegenden mied. Doch vermutlich konnte er hier sogar die besten Preise erzielen.
»Die Zerbrochene Ebene?«, fragte einer der Sklaven. »Wirklich? «
Die anderen drängten sich um ihn und spähten hinaus. In ihrer plötzlichen Aufregung schienen sie ihre Angst vor Kaladin vergessen zu haben.
»Das ist doch die Zerbrochene Ebene!«, rief ein anderer Mann. »Das ist die königliche Armee!«
»Vielleicht finden wir hier Gerechtigkeit!«, meinte ein weiterer.
»Ich habe gehört, dass die Hausdiener des Königs genauso gut leben wie die reichsten Kaufleute«, sagte wieder ein anderer. »Dann haben es seine Sklaven bestimmt auch gut. Wir sind im Vorin-Land – vielleicht bekommen wir da sogar Lohn!«
Das alles stimmte. Wenn Sklaven arbeiteten, wurde ihnen ein kleiner Lohn ausgezahlt – die Hälfte dessen, was ein freier Mensch erhielt, und das wiederum war oft weniger, als ein Bürger für die gleiche Arbeit bekam. Aber es war immerhin etwas, und das Gesetz der Alethi verlangte es so. Nur Feuerer, die ohnehin kein Eigentum hatten, mussten
Weitere Kostenlose Bücher