Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
nichts anderes übrig, als bloß dazustehen und zu warten, bis Jasnah zu Ende gelesen hatte.
»Ist das wahr?« Jasnah sah von dem Blatt auf. »Du hast dir alles selbst beigebracht?«
»Ja, Euer Hellheit.«
»Das ist bemerkenswert.«
»Danke, Euer Hellheit.«
»Und dieser Brief ist ein kluges Manöver. Du hattest mit deiner Annahme Recht, ich würde auf eine geschriebene Bitte antworten. Das zeigt mir dein Geschick im Umgang mit Worten, und die Rhetorik dieses Briefes beweist darüber hinaus, dass du logisch denken und deine Ansichten gut vertreten kannst.«
»Danke, Eure Hellheit«, sagte Schallan und spürte, wie eine neue Hoffnung in ihr aufstieg, die aber mit Erschöpfung vermischt war. Ihre Gefühle waren hin- und hergerissen worden: wie ein Seil, das man zu einem Zerr-Wettstreit benutzte.
»Du hättest mir diese Nachricht hinterlassen und dich vor meiner Ankunft zurückziehen sollen.«
»Aber dann wäre die Nachricht unter dem Bücherstapel verlorengegangen. «
Jasnah hob wieder eine Braue, als wolle sie damit anzeigen, dass es ihr nicht gefiel, berichtigt zu werden. »Also gut. Die Lebensumstände einer Person sind wichtig. Deine eigenen Umstände entschuldigen nicht deine mangelnde Ausbildung in Geschichte und Philosophie, aber hier ist Nachsicht durchaus angebracht. Ich werde dir erlauben, mich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu fragen. Ein solches Privileg habe ich noch nie zuvor einer Mündelanwärterin gegeben. Sobald du dir in diesen beiden Disziplinen ausreichende Grundlagen geschaffen hast, darfst du wieder zu mir kommen. Wenn deine Kenntnisse dann bedeutend besser geworden sind, werde ich dich aufnehmen.«
Schallans Hoffnungen sanken wieder. Jasnahs Angebot war sehr großzügig, aber es würde Jahre des Studiums bedürfen, um ihren Anforderungen zu genügen. Das Haus Davar würde inzwischen untergegangen, die Ländereien unter den Gläubigern aufgeteilt, ihre Brüder und sie selbst des Titels beraubt und vermutlich längst versklavt worden sein.
»Vielen Dank, Hellheit«, sagte Schallan und neigte den Kopf.
Jasnah nickte, als sähe sie diese Angelegenheit nun für beendet an. Schallan zog sich zurück, ging still den Korridor entlang und zog an der Schelle, um den Aufzug zu rufen.
Jasnah hatte ihr versprochen, sie zu einem späteren Zeitpunkt aufzunehmen. Für die meisten anderen wäre das ein großer Sieg. Von Jasnah Kholin – die von vielen als die größte lebende Gelehrte betrachtet wurde – ausgebildet zu werden, würde ihr eine glänzende Zukunft garantieren. Schallan könnte eine sehr vorteilhafte Ehe eingehen, vermutlich mit dem Sohn eines Großprinzen, und neue gesellschaftliche Kreise würden sich ihr eröffnen. Wenn Schallan nur die Zeit hätte, unter Jasnah zu lernen, würde bereits das Ansehen, das sich aus einer solchen Beziehung zu der Familie Kholin ergab, zur Rettung des Hauses Davar betragen.
Wenn sie nur die Zeit hätte.
Schallan fand allein den Weg aus dem Konklave; es gab keine Tore am Vordereingang, sondern nur Säulen vor dem offenen Schlund des Gebäudes. Sie war überrascht, wie dunkel es draußen war. Dann schritt sie die breiten Stufen hinunter und nahm einen schmalen, gepflegten Seitenweg, wo sie niemandem begegnen würde. Kleine Kämme aus dekorativer Schieferborke wuchsen entlang dieses Pfades, und mehrere Exemplare hatten fächerartige Ranken ausgestreckt, die im Abendwind flatterten. Einige träge Lebenssprengsel huschten wie glühende grüne Stäubchen von einem Wedel zum nächsten.
Schallan lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der steinartigen Pflanzen, deren Fortsätze sich sofort schützend einzogen. Von diesem Aussichtspunkt aus konnte sie auf Kharbranth hinunterschauen. Unter ihr leuchteten die Lichter wie ein Wasserfall aus Feuer, der sich über eine Klippe ergoss. Die einzige andere Möglichkeit für sie und ihre Brüder bestand darin, wegzulaufen, den Familiensitz in Jah Keved aufzugeben und irgendwo Asyl zu suchen. Aber wo? Gab es denn noch alte Verbündete, die ihr Vater nicht gegen sich aufgebracht hatte?
Da war diese seltsame Sammlung von Landkarten, die sie in seinem Arbeitszimmer gefunden hatten. Was bedeuteten sie? Mit seinen Kindern hatte er nur selten über seine Pläne gesprochen. Selbst die Ratgeber ihres Vaters wussten eher wenig. Helaran – sein ältester Bruder – war tiefer eingeweiht gewesen, aber er war vor mehr als einem Jahr verschwunden. Ihr Vater hatte ihn für tot erklären lassen.
Wie immer verschaffte
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