Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
in die abendliche Menschenmenge hinein und ließ sie mit ihrem ängstlichen Protest auf den Lippen allein.
Sie seufzte und setzte sich in züchtiger Haltung auf das Steinpodest eines Laternenpfahls. Hier sollte sie in Sicherheit sein. Sie sah, wie andere helläugige Frauen die Straße überquerten. Aber oft wurden sie in Sänften getragen oder in diesen kleinen, von Hand gezogenen Karren gefahren. Hin und wieder beobachtete sie sogar eine richtige Kutsche, aber nur die sehr Reichen konnten es sich leisten, Pferde zu halten.
Wenige Minuten später kam Yalb wie aus dem Nichts aus der Menge hervor und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie möge ihm folgen. Sie stand auf und eilte zu ihm.
»Sollen wir uns keinen Wagen holen?«, fragte sie, als er sie in eine breite Seitenstraße führte, die seitwärts den Hügel der Stadt hinauf verlief. Schallan ging vorsichtig: ihr Rock war so lang, dass sie schon befürchtete, sie könnte sich den Saum an den Steinen aufreißen. Der Streifen am unteren Ende konnte zwar leicht ersetzt werden, aber Schallan durfte es sich nicht leisten, Geld auf solche unwichtigen Dinge zu verschwenden.
»Nein«, sagte Yalb, »es ist gleich hier.« Er deutete auf eine weitere Seitenstraße, die den steilen Hügel hinaufführte und in der sich ein Geschäft an das andere reihte. Über jedem hing ein Schild mit dem Glyphenpaar für Bücher, und auch die Glyphen waren oft in Form eines Buches gestaltet. Des Lesens unkundige Diener, die zu einem bestimmten Geschäft geschickt wurden, mussten schließlich in der Lage sein, dieses auch zu finden.
»Händler, die die gleichen Waren anbieten, lieben es, dicht beieinanderzuhocken«, sagte Yalb und rieb sich das Kinn. »Ich finde das zwar seltsam, aber vermutlich sind Händler wie Fische. Wo man einen findet, findet man auch noch weitere.«
»Dasselbe könnte man auch über Ideen sagen«, sagte Schallan und zählte die Läden. Es waren sechs. Alle wurden von kühlem und gleichmäßigem Sturmlicht in den Fenstern beleuchtet.
»Das dritte Geschäft von links«, sagte Yalb. »Der Händler heißt Artmyrn. Meine Gewährsleute sagen, dass er der beste ist.« Das war ein thaylenischer Name. Vermutlich hatte Yalb Männer aus seiner Heimat befragt, und sie hatten ihn hierhergeschickt.
Sie nickte Yalb zu. Gemeinsam stiegen sie die steile Straße zu dem Geschäft hinauf. Yalb ging nicht zusammen mit ihr hinein; sie hatte schon früher bemerkt, dass viele Männer sich in der Gegenwart von Büchern unwohl fühlten, selbst wenn sie keine Vorin waren.
Sie stieß die Tür auf – die aus massivem Holz mit zwei eingelegten Kristallpaneelen bestand – und trat in einen warmen Raum. Sie wusste nicht, was sie dort erwartete, denn sie war noch nie zuvor in ein Geschäft gegangen und hatte etwas gekauft. Dazu hatte sie in der Vergangenheit entweder Diener losgeschickt, oder die Händler waren zu ihr gekommen.
Der Raum wirkte sehr einladend. Große, bequeme Sessel standen vor einem Kamin. Dort tanzten Flammensprengsel um die brennenden Scheite herum, und der Boden bestand aus Holz. Es waren keine Nähte zu erkennen, also war er vermutlich unmittelbar aus dem Stein darunter mit einem Seelengießer geschaffen worden. Verschwenderisch.
Eine Frau stand hinter einer Theke im hinteren Teil des Raumes. Sie trug einen bestickten Rock und eine Bluse statt des taillierten einteiligen Seidenhavahs, den Schallan anhatte. Sie war dunkeläugig, aber offensichtlich wohlhabend. In den Vorin-Königreichen wäre sie vermutlich im ersten oder zweiten Nahn gewesen. Die Thaylener hatten ihre eigene Rangordnung. Zumindest waren es nicht ganz und gar Heiden. Sie respektierten die Augenfarbe, und diese Frau trug einen Handschuh über der Schutzhand.
Hier gab es nicht viele Bücher. Einige stapelten sich auf der Theke, eines lag auf einem Ständer neben den Sesseln. Eine Uhr tickte an der Wand, an ihrer Unterseite hingen ein Dutzend
schimmernder silberner Glöckchen. Diese Räumlichkeit hier sah eher nach einer Wohnung als nach einem Laden aus.
Die Frau legte ein Lesezeichen in ihr Buch und lächelte Schallan an. Es war ein glattes, eifriges Lächeln, fast wie das eines Raubtiers. »Bitte, Euer Hellheit, setzt Euch doch«, sagte sie und deutete auf die Sessel. Die Frau hatte ihre langen weißen Thaylen-Augenbrauen gekräuselt, so dass sie ihr Gesicht wie Locken aus dem Haupthaar einrahmten.
Schallan setzte sich zögernd, während die Frau unter der Theke mit einer Glocke läutete. Bald
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