Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
watschelte ein stämmiger Mann in den Raum. Er trug eine Weste, die unter der Anstrengung, seinen umfänglichen Bauch zu bändigen, zu platzen drohte. Sein Haar wurde allmählich grau, er hatte sich die Brauen hinter die Ohren gekämmt.
»Ah«, sagte er und klatschte in die fleischigen Hände, »liebe junge Frau. Wollt Ihr einen schönen Roman erwerben? Etwas, womit Ihr die grausamen Stunden verbringen könnt, die Ihr von einer verlorenen Liebe getrennt seid? Oder vielleicht ein Buch über Geografie mit allen Einzelheiten exotischer Orte?« Er hatte einen leicht herablassenden Tonfall und sprach ihr heimatliches Vedisch.
»Ich … nein, danke. Ich brauche eine erschöpfende Auswahl von Büchern über Geschichte und drei über Philosophie.« Sie versuchte sich an die Namen zu erinnern, die Jasnah genannt hatte. »Etwas von Placini, Gabrathin, Manaline oder Schauka-Tochter-Hasweth. «
»Schwere Lektüre für eine so junge Frau«, sagte der Mann und nickte der Frau zu, die vermutlich seine Gemahlin war. Sie begab sich in das Hinterzimmer. Gewiss benutzte er sie als Leserin. Auch wenn er vielleicht selbst des Lesens mächtig war, wollte er sicherlich keine Kundinnen beleidigen, indem er es in ihrer Gegenwart tat. Er würde das Geld persönlich entgegennehmen: Der eigentliche Handel war doch zumeist eine männliche Kunst.
»Warum beschäftigt sich eine junge Blume wie Ihr mit solchen Themen?«, fragte der Händler, während er sich in den Sessel ihr gegenüber setzte. »Kann ich nicht Euer Interesse für einen schönen romantischen Roman wecken? Das ist meine Spezialität. Junge Frauen aus der ganzen Stadt kommen zu mir, ich habe immer die besten Bücher.«
Sein Ton reizte sie. Es war schon ärgerlich genug zu wissen, dass sie tatsächlich ein wohlbehütetes Kind war. War es da noch nötig, sie daran zu erinnern? »Einen romantischen Roman«, sagte sie und hielt ihre Tasche gegen die Brust gedrückt. »Ja, vielleicht wäre das schön. Habt Ihr zufällig ein Exemplar von Näher zur Flamme? «
Der Händler blinzelte. Näher zur Flamme war aus dem Blickwinkel eines Mannes geschrieben, der allmählich im Wahnsinn versank, als er zusehen musste, wie seine Kinder verhungerten.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr etwas so … Anspruchsvolles sucht?«, fragte der Mann.
»Ist es denn unschicklich, wenn eine junge Frau etwas Anspruchsvolles lesen will?«
»Nein, ich glaube nicht.« Er lächelte wieder; es war das breite Grinsen eines Kaufmanns, der jemanden beruhigen wollte. »Ich sehe, dass Ihr eine Frau mit besonderem Geschmack seid.«
»Das bin ich, ja«, bestätigte Schallan mit fester Stimme, auch wenn ihr Herz raste. War es denn ihre Bestimmung, mit jedem zu streiten, dem sie begegnete? »Ich mag es, wenn meine Speisen sorgfältig zubereitet sind, denn mein Gaumen ist sehr zart.«
»Pardon. Ich meinte, Ihr habt einen erlesenen Geschmack, was Bücher betrifft.«
»Ehrlich gesagt habe ich noch nie eins gegessen.«
»Euer Hellheit, ich glaube, Ihr macht Euch über mich lustig. «
»Nein, eigentlich nicht. Zumindest habe ich noch nicht damit angefangen.«
»Ich …«
»Ihr hattet Recht, den Geist mit dem Magen zu vergleichen«, sagte sie.
»Aber …«
»Zu viele von uns«, fuhr sie fort, »schenken dem, was wir durch den Mund aufnehmen, eine wesentlich größere Aufmerksamkeit als dem, was wir durch Augen und Ohren aufnehmen. Stimmt Ihr mir nicht zu?«
Er nickte; vielleicht befürchtete er, dass er nichts sagen konnte, ohne von ihr unterbrochen zu werden. Schallan wusste tief in ihrem Inneren, dass sie zu weit ging. Sie war nach ihren Gesprächen mit Jasnah einfach zu angespannt und enttäuscht.
Doch im Augenblick war ihr alles egal. »Erlesen«, sagte sie, als wollte sie sich dieses Wort auf der Zunge zergehen lassen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Eurer Wortwahl zustimmen kann. Erlesen bedeutet doch, eine Auslese vorzunehmen und gewisse Dinge von vornherein abzulehnen. Es bedeutet, exklusiv zu sein. Kann es sich der Mensch denn erlauben, bei dem, was er zu sich nimmt, einen erlesenen Geschmack zu beweisen? Egal ob es um Nahrung oder Gedanken geht?«
»Ich glaube, er muss es sogar«, erwiderte der Händler. »Habt Ihr das nicht gerade gesagt?«
»Ich habe gesagt, dass wir uns Gedanken über das machen sollten, was wir lesen oder essen und nicht etwa, dass wir exklusiv sein sollten. Was würde wohl mit einer Person geschehen, die nur Süßigkeiten isst?«
»Das kann ich Euch sagen«, erwiderte der Mann. »Ich
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