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Der Weg des Unsterblichen

Der Weg des Unsterblichen

Titel: Der Weg des Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lueck
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wenn er so neben mir saß, als wäre nichts passiert, obwohl ich genau wusste, dass sich unter seinem T-Shirt eine lange, tiefe Narbe entlangziehen musste.
    Er rutschte von der Kante, sodass er direkt neben mir saß. »Was ist los?«
    »Ich habe Angst.« Mein Blick blieb an meinen Händen hängen und ich begann, sie nervös in meinem Schoß zu kneten. »Angst vor der Rede, die ich mir anhören muss und den Konsequenzen, die das für mein Leben haben wird. Angst, dass wir entdeckt werden, dass Lian sich erinnert und Angst, dass…« Ich konnte es nicht aussprechen, ich hatte noch nie über dieses absurde Tabu-Thema sprechen können. Alsobeließ ich es bei einem Seufzen. »Ich habe einfach ein schlechtes Gefühl.«
    Azriel kreuzte die Arme hinter seinem Kopf und lehnte sich genüsslich zurück. Dann lachte er wieder sein kühles Lachen. »Wie immer das Gleiche, du machst dir einfach viel zu viel Stress.«
    Ich war es gewohnt, dass er so redete, aber momentan konnte ich es einfach nicht ertragen. Menschen waren gestorben, er war gestorben, und ich wusste, dass etwas Riesiges und wirklich Angsteinflößendes auf uns zukam. Die Spannung und sein sarkastisches Grinsen brauchten das Fass zum Überlaufen. Ich sprang auf und baute mich drohend vor ihm auf. Dann begann ich ihn anzuschreien: »Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als hier rumzusitzen und dich über mich lustig zu machen? Du scheinst nicht zu kapieren, dass es Dinge auf der Welt gibt, über die man nicht LACHT!«
    Azriel warf mir einen erschrockenen Blick zu, den ich an ihm noch nie gesehen hatte, und vom Haus hörte ich die Stimme meiner Mutter: »Mit wem redest du, Schatz?«
    » Mit mir selbst !«
    »Muss ich wieder Doktor Hanel anrufen?«
    »NEIN, MIR GEHT ES GUT!«, brüllte ich, dann sackte mein Innerstes zusammen. Was machte ich hier eigentlich? Meine Nerven waren so gereizt, dass ich auf alles überemotional reagierte. Das musste endlich aufhören.
    »Machst du dir Sorgen? Um … mich?« Azriel schien immer noch vollkommen aus dem Konzept gebracht, jeder sarkastische Zug in seinem Gesicht hatte sich in Luft aufgelöst.
    »Ja.«, knurrte ich. »Ist das ein Problem?«
    »Nein. Tut mir leid, Noé.«
    Nun war es an mir, ihn überrascht anzusehen. Aber sein Blick war todernst; er sagte diese Worte, die ich noch nie aus seinem Mund gehört hatte, also nicht nur so daher. War heute der Tag der großen Überraschungen?
    Hinter uns im Haus wurde es lauter, und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es losging. Aber ich hielt den Blick von Azriel fest, blieb reglos stehen. »Dann tu mir den Gefallen und pass besser auf dich auf. Wir sind schon bei Nummer sechs.«
    »Nummer sechs? Echt? Du hast mitgezählt?«
    »Ich finde es erschreckend, dass du nicht mitgezählt hast.« Ich seufzte und spürte, wie ein eisiger Wind durch meine braunen Locken pfiff. »Bitte, Azriel. Du kannst doch deinen Plan umsetzen und vielleicht eine Weile von hier verschwinden, bis sich die Situation etwas beruhigt hat.«
    »Nein.« Er stand ebenfalls auf, wieder das typische Grinsen im Gesicht, als hätte sich nie etwas verändert. »Ich werde noch eine Weile bleiben, scheinbar wird es jetzt ja spannend. Aber vielleicht halte ich die Augen jetzt etwas offener, reicht das? Wir sprechen nach deinem kleinen Unsterblichen-Erlebnis nachher weiter. Bye.«
    Ein Augenzwinkern und er war verschwunden. Ich seufzte und spürte, wie sich mein Magen verkrampfte. Heute war definitiv nicht mein Tag.
    Wenige Minuten später saß ich auch schon neben Monja auf der Rückbank unseres blauen Vans.
    »Danke, dass Sie mich mitnehmen! Meine Eltern müssen beide arbeiten, und ich hätte sonst den ganzen Weg laufen müssen!« Monjas Augen leuchteten und beinahe wunderte es mich, dass sie kein Fan-Shirt anhatte. Was mich allerdings gar nicht wunderte, war die Tatsache, dass sie in ihren Absatzschuhen nicht so weit laufen wollte oder gar konnte. Aber dass meine beste Freundin sich für diesen Tag ganz besonders aufdonnern würde, war mir von vornherein klar gewesen.
    Meine Mutter lächelte in den Rückspiegel. »Das ist doch kein Problem, Monja. Sind alle bereit? Dann wollen wir mal los.«
    Wir rollten aus der Einfahrt, und ich schlug mir die Hände auf den Bauch. Wenn das so weiterging, würde ich demnächst ein ausgewachsenes Magengeschwür bekommen.
    Unser Weg war nicht allzu weit mit dem Auto. Wir durchquerten unsere kleine Stadt und fuhren etwas nach außerhalb, rechts am Wald vorbei und schon

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