Der Weg des Unsterblichen
mit rein zu kommen? Ich meine … du hast ja selbst gesagt, dass du nichts Besseres zu tun hast und so wie sich das anhört, habe ich auch nicht das Gefühl, dass du mit deiner Freizeit viel anzufangen wüsstest.«
Ihr Vorschlag überraschte mich sehr. Sie hatte recht: Andere Pläne hatte ich wirklich nicht. Aber trotzdem machte es mich misstrauisch, dass sie aus heiterem Himmel solche Vorschläge machte. Fast instinktiv, ohne dass ich es eigentlich wollte, verengte ich die Augen ein wenig und sog geräuschvoll die kühle Luft in meine Lungen. »Was hast du vor?«
Ich hatte es nicht so grollend klingen lassen wollen, wie es mir über die Lippen kam. Aber ich musste auf alles vorbereitet sein und einem Menschen zu vertrauen, der sich mitdämonischem Abschaum abgab, danach stand mir ganz sicher nicht der Sinn.
»Du schaust mich an als hätte ich geplant, dich umzubringen.« Noé schob beleidigt ihre Unterlippe nach vorn und wandte dann den Blick ab. »Na gut, wenn du es so genau wissen willst: Ich habe vielleicht wirklich ein Anliegen, weshalb ich dich bitte, mit reinzukommen. Ich bin noch nicht fertig, mit dir zu reden. Es gibt etwas, wovon ich dich noch nicht überzeugt habe.«
»Und das wäre?« Mein Körper spannte sich an.
»Azriel nicht zu töten. Du hast es immer noch vor, habe ich recht?«
Ich spürte, wie sich ein leichtes Zusammenzucken durch meine Muskeln schlich und konnte es gerade noch davon abhalten, nach außen zu dringen. Hatte sie mich durchschaut? Seit wann war ich für eine Sterbliche zu einem offenen Buch geworden? Ihr überaus ernster Blick verursachte ein merkwürdig ungutes Gefühl in meinem Bauch. Nein, sie vertraute mir noch nicht; so einfach würde es mir diesesMädchen nicht machen. Was hatte ich nach meinem ersten Eindruck von ihr auch anderes erwartet?
Noé schüttelte leicht den Kopf. »Wie du ihn damals angesehen hast… Egal, vergiss es einfach. Zumindest für den Moment. Kommst du nun mit rein oder treibst du dich lieber mit deinen Engelfreunden herum als mit mir?«
Einen kurzen Moment zögerte ich noch, bevor sich mein Kopf langsam zu einem Nicken bewegte. »Gut, ok. Ich komme mit rein.«
Ich folgte ihr langsam durch den kleinen Vorgarten und wir traten zusammen durch die Eingangstür ins Haus in den dunklen, warmen Flur. Ich sah mich um. Alte Fotos an den Wänden, alte Kommoden – alles hier schien aus einem früheren Jahrhundert oder zumindest von Vorfahren zu stammen. Ein Geruch von Vanille und alten Büchern lag in der Luft, der sich angenehm um mich legte.
»Mama, ich bin Zuhause!« rief Noé in das Hausinnere hinein und begann, sich aus dem bunten Schal und ihrer Jacke zu schälen. Ich sah ihr dabei zu, wie ungeschickt und hastig sie sichbewegte und fragte mich, was sie auf einmal so nervös machte. »Erschreck dich bitte nicht, ich habe einen Freund mitgebracht.«
Einen Freund? Ich rümpfte für eine Sekunde die Nase. Es gefiel mir nicht, dass sie mir die gleiche Bezeichnung gab wie diesem widerlichen Dämon.
»Warum denn erschrecken?« Aus einem Raum am anderen Ende des Flures trat eine Frau, etwa um die vierzig Jahre alt. Sie hatte dieselben braunen Haare wie Noé, nur waren ihre am Hinterkopf zu einem hohen Knoten gebunden. Bei meinem Anblick wären ihr beinahe Geschirrtuch und Teller aus der Hand gerutscht und zu Boden gefallen. »Ei-ein E-En –»
»Das ist Nero.«, unterbrach Noé streng das Gestammel ihrer Mutter. Die bunten Augen funkelten verärgert. »Wir kennen uns aus der Schule.«
»Ja, natürlich.« Die Frau klemmte sich umständlich eine heraushängende Strähne ihres Haares hinters Ohr, bevor sie mir ein strahlendes, aber unsicheres Lächeln zuwarf und die mehligen Hände ungeschickt an ihrer Schürzeabwischte. Einen Augenblick lang dachte ich, sie wolle sie mir reichen, aber dann zuckten ihre Arme zurück und blieben schlapp an ihren Seiten hängen. »Willkommen in unserem bescheidenen Heim. Du bist sicher besseres gewohnt, was? Du kannst mich gern Elané nennen!«
Noé verdrehte genervt die Augen, was mich zum Schmunzeln brachte. »Danke für den herzlichen Empfang, Elané. Ich hoffe, ich mache niemandem Umstände mit meinem plötzlichen Besuch.«, antwortete ich in meinem höflichsten Ton.
Scheinbar war auch ihre Mutter, wie die meisten Menschen, ein Anhänger meines Vaters. Von uns Unsterblichen. Ich fragte mich, warum das wohl so war, wo doch wir die Wesen waren, die ihr vor acht Jahren ihren Mann genommen hatten? Wie jeder andere Mensch,
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