Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
und ich atmete panisch. Aber ihr die Wahrheit über meinen Onkel zu sagen, hätte bedeutet, dass die Gerüchte kein belangloser Tratsch mehr gewesen wären. Sie wären Tatsachen geworden, und damit eine ganz neue Reihe von Problemen, mit denen ich zurechtkommen musste.
» Der Verkehr ist fürchterlich«, sagte ich und versuchte, genervt statt hysterisch zu klingen. » Ich schaffe es nicht. Geh du einfach schon zum Gottesdienst; wir treffen uns dann in der Klasse.«
» Willst du, dass ich eine Kerze für dich anzünde?«, neckte sie mich.
» Das ist wahrscheinlich keine schlechte Idee«, murmelte ich, während Colin vor einem heruntergekommenen Lagerhaus parkte.
Er blieb nahe bei mir, als wir den rissigen, unkrautüberwucherten Bürgersteig überquerten, riss die Schiebetür auf und stieß mich hinein.
» Ich schreibe eine Arbeit«, rief ich ihm ins Gedächtnis, als er einen Code in den Schaltkasten einer Alarmanlage eingab.
» Vergiss die verdammte Arbeit, Mo.«
Trübes Licht fiel durch die Fenster hoch über uns. Statt vor den Paletten, Kisten und Kartons, mit denen ich gerechnet hatte, standen wir in einer Werkstatt. Einer Tischlerwerkstatt mit großen elektrischen Sägen und einer Wand aus Hartfaserplatten, an der in regelmäßigen Abständen Werkzeuge hingen. Die Luft roch nach Sägespänen und Firnis; es war ein sauberer, durchdringender Geruch, der mir die Nase zucken ließ, aber nicht auf unangenehme Art.
Die Hand immer noch auf meinen Rücken gelegt, stieß Colin mich durch die Werkstatt und durch eine Metalltür. Er zog sie mit einem Ruck hinter uns zu, bevor er an den Schaltern einer weiteren Alarmanlage herumfingerte. Das Licht ging an, und wenn die Werkstatt draußen mich schon überrascht hatte, war sie doch nichts im Vergleich zu diesem Zimmer. Es verschlug mir einen Moment lang den Atem, und ich drehte mich zu Colin um.
» Wohnst du hier?« Es war spartanisch und zugleich schön. Schlichte weiße Wände, narbige Zementböden, die gleichen Fenster weit oben wie vorne in der Werkstatt. Aber die Möbel waren hübsch, poliertes Holz, das im Morgenlicht sanft glänzte. Es roch nach Zitronenöl, frisch und heimelig. Ein paar Teppiche waren über den Boden verteilt, und es gab ein fadenscheiniges, dunkelblaues Velourssofa und einen uralten Lehnstuhl aus Leder neben einem bauchigen Ofen. Es lag nichts herum, kein Krimskrams oder Durcheinander, aber es wirkte nicht steif, nur geräumig, als ob man allen Platz der Welt zum Atmen hatte und alle Zeit, die man dazu brauchte. » Es ist fantastisch.«
Er zuckte mit verlegener Miene die Achseln und wies auf zwei Türen gegenüber von uns. » Bad. Schlafzimmer.«
» Wohnst du wirklich hier?«
» Wo dachtest du denn, dass ich wohne?«
» Ich weiß es nicht. Vielleicht im Truck? In der Batcave? Das hier ist superschön.« Schöner, als ich angesichts des Zustands von Colins Truck erwartet hätte. Ich hatte immer angenommen, dass er gerade so über die Runden kam, aber ich hatte mich geirrt. Warum verbarg er es dann? Was verbarg er noch?
» Freut mich, dass es dir gefällt. Ich bin gleich zurück. Bleib hier.«
» Du gehst?«
» Ich muss mit deinem Onkel reden.«
» Nimm mich mit!«
» Wenn ich wüsste, wem ich vertrauen kann, täte ich das auch. Hier ist der sicherste Aufenthaltsort für dich. Nur wenige Leute wissen davon, und denen vertraue ich.«
» Onkel Billy?«
Er zögerte. » Ja.«
Onkel Billy kam mir im Moment nicht besonders vertrauenswürdig vor, aber ich war bereit, mich auf Colins Wort zu verlassen. Die Angst neigte, wie mir aufging, dazu, Dinge zu kristallisieren. Sie machte Entscheidungen vielleicht nicht einfacher, aber schärfer. Und schneller.
» Nimm dir etwas zu essen. Lern für deine Arbeit. Sieh fern, wenn du möchtest«, fügte er hinzu und deutete mit dem Daumen kurz auf ein schwarzes Lackschränkchen. » Mo, tu einmal im Leben, was ich dir sage. Du steckst gerade in achtzehn verschiedenen Arten Scheiße, noch nicht einmal mit einberechnet, dass du hier die Nancy Drew gibst. Was ich übrigens nicht vergessen habe.«
Wenn er mich aus Zorn angewiesen hätte hierzubleiben, hätte ich mich stärker gegen ihn aufgelehnt. Aber es stand keiner in seinem Gesicht, nur Ernst und Besorgnis, und so setzte ich mich aufs Sofa, zog die zitternden Beine unter mich und steckte mir den Rock um die Knie fest. » Du machst dir Sorgen.«
» Ich hätte nicht erwartet, dass sie über Billys Kopf hinweg handeln«, sagte er. » Ich dachte, sie
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