Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
ein Kind vorzukommen. Ich verabscheute ihn, besonders von Colin. Ich war kein Kind mehr.
» Um Onkel Billy geht es bei der Identifizierung«, verbesserte ich ihn. » Die hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Und hinter der bin ich her. Wenn du gar nicht zuhören willst, hat dieses Gespräch keinen Sinn.«
Er schüttelte beinahe amüsiert den Kopf. » Du versuchst herauszufinden, wer deine Freundin getötet hat? Und du glaubst, dass diese Evangeline dir dabei helfen kann? Geh zu Billy, wenn du Ergebnisse willst. Er hat Kontakte.«
» Nicht in Louisiana. Ich brauche Evangeline, wenn ich diejenigen zur Strecke bringen will, die es befohlen haben.« Mehr als das konnte ich ihm nicht erzählen, wenn ich nicht allen schaden wollte.
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als hätte er nicht ganz verstanden, was ich gesagt hatte. » Die es befohlen haben? Befohlen haben? Verdammt, machst du Witze ?«
Mein Handy klingelte, und ich schnappte es mir, da ich verzweifelt nach einer Ablenkung suchte. » Lena! Was ist los?«
» Ich rufe nur an, um zu sehen, ob du auf die Chemiearbeit heute vorbereitet bist.«
» Die… oh, Scheiße. «
» Du willst mir doch nicht erzählen, dass du sie vergessen hast? Die Arbeit macht so ungefähr fünfundzwanzig Prozent unserer Note aus!«
» Leg auf«, knurrte Colin.
Ich machte eine abwehrende Handbewegung. » Ich kann nicht glauben, dass ich das vergessen habe.«
Lena schnaubte. » Ach ja? Pass auf, ich bin in der Cafeteria. Wenn du den Gottesdienst schwänzt, können wir noch ein bisschen büffeln. Oder vielleicht solltest du doch zum Gottesdienst gehen? Das ist womöglich das Einzige, was dir noch hilft.«
» Sehr witzig.«
» Leg auf. Sofort«, befahl Colin.
» Hol mir eine Cola light«, sagte ich zu Lena. » Ich bin in zehn Minuten da.«
Ich legte auf, und er griff nach meinem Handy, den Blick immer noch auf die Straße gerichtet. » Keine Unterbrechungen mehr. Wir regeln das jetzt ein für alle Mal.«
» Ich schreibe heute eine Arbeit«, sagte ich mit Nachdruck und hielt das Handy fest. » Eine wichtige Arbeit. Ich muss lernen.«
» Deine Arbeit ist mir scheißegal, Mo. Willst du mir wirklich erzählen, dass du und Veritys Tante es mit einem Mörder aufnehmen wollt? Einer Gruppe von Mördern? Denn selbst wenn du recht hast– und das hast du nicht –, wie kommst du darauf, dass du und eine Frau, die Louis-Quatorze-Esszimmermöbel verkauft, dem auch nur in Ansätzen gewachsen seid?«
» Weil ich muss. Hast du nie etwas nur deshalb getan, weil es das Richtige war? Nie? Oder ist dir nur wichtig, ob du bezahlt wirst?«
Er packte mich grob am Arm und ließ genauso plötzlich wieder los. Mein Handy piepste.
Colin stieß einen drohenden Laut aus, und ich sah ihn meinerseits finster an. » Es ist nur eine SMS .«
In Wirklichkeit war es ein Bild. Von Lena in der Schulcafeteria; Notizen lagen um sie herum verstreut, und zwei Dosen Cola standen in der Nähe.
» Das ist seltsam«, sagte ich, als ich nach der Nummer sah. » Geheim.«
Das Telefon piepste erneut. Geheim. Schon wieder.
Es war ein Foto vom Slice, mit meiner Mutter hinter der Kasse. Ich konnte ihr Namensschild und die Zackenlitze auf ihrer Schürze deutlich erkennen. Wer auch immer das Bild aufgenommen hatte, konnte nicht mehr als ein paar Meter entfernt gewesen sein.
Noch ein Piepsen.
» Mein Gott«, sagte Colin, » hört das Mädchen denn gar nicht mehr auf?«
» Es ist nicht Lena.«
Diesmal war es eine Aufnahme von Colin, der am Truck lehnte und das gleiche graue T-Shirt und die braune Jacke trug, die er jetzt anhatte. Mein Haus war im Hintergrund zu sehen. Dieses Bild war von weiter weg aufgenommen, vielleicht aus einem halben Block Entfernung.
» Es hat sich heute Morgen niemand draußen herumgetrieben, oder? Vor dem Haus?« Natürlich nicht. Colin hätte jeden gesehen. Der Winkel, der Abstand… Wer auch immer das Foto gemacht hatte, hatte sich in einem Haus befunden, vielleicht in dem eines Nachbarn.
» Nein. Warum?«
Er riss mir das Telefon aus der Hand, als noch eine Nachricht einging. Ich beugte mich zu ihm hinüber und schaute hin. Mein Zimmer, aus solcher Nähe, dass man durchs Fenster das ungemachte Bett sehen konnte. Ich war dazu erzogen worden, jeden Morgen als Erstes mein Bett zu machen. Man ging noch nicht einmal ins Badezimmer, um zu pinkeln, solange die Decken nicht glattgezogen und die Kissen nicht aufgeschüttelt waren. Neben » Kein Fleisch am Freitag« und dem Kirchenbesuch an
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