Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
Freund?«
Er deutete mit dem Daumen ans Ende unseres Blocks, sechs oder sieben Häuser entfernt. Im schwindenden Sonnenlicht, dessen Strahlen wie Feuer wirkten, als sie auf sein Haar trafen, stand Luc. Ohne nachzudenken, sprang ich von der Treppe auf und ging auf ihn zu. Die Luft war so schwer, dass es sich anfühlte, als müsste ich mich durch Wasser kämpfen. Sein Blick begegnete meinem in einer Mischung aus Neugier und Herausforderung. Ich wollte plötzlich verzweifelt gern beider würdig sein.
Colin trat zwischen uns, versperrte mir die Sicht und ragte drohend vor mir auf. » Er da. Dein Freund?«
Ich versuchte Luc ein Zeichen zu geben, ihm zu bedeuten, dass wir miteinander reden mussten, aber Colin stand wie ein Felsklotz vor mir. Schließlich stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um ihm über die Schulter blicken zu können.
Natürlich war Luc weg.
» Nicht meiner.« Ich griff nach dem Fliegengitter und hoffte, dass weder meine Stimme noch meine Hände zittern würden. Das Letzte, was ich brauchen konnte, war, dass Colin Nachforschungen über Luc anstellte. » Veritys.«
Kapitel 9
Ich hatte die Schneekugel am nächsten Tag im Slice bei mir, was mir albern vorkam, weil sie doch so nutzlos war wie echter Schnee. Ich hatte das dumme Ding geschüttelt wie einen Magic-8-Ball, und nichts war geschehen. Verity hatte eine defekte Schneekugel gekauft, zu dem Schluss war ich irgendwann gegen drei Uhr nachts gekommen. Als ihr dann aufgegangen war, dass sogar sie gewisse Ansprüche an ihren Kitsch stellte, hatte sie sie weit hinten aufs Regal geschoben, um sie nicht länger anstarren zu müssen. Wer konnte ihr das zum Vorwurf machen? Die stumpfen Augen des Harlekins erinnerten mich an die eines Gemäldes in einer Scooby-Doo -Folge; sie folgten mir durchs Zimmer.
Kaputt oder nicht, mir behagte es nicht, die Schneekugel zu Hause zu lassen, während ich arbeitete. Luc war nicht wieder aufgetaucht, und ich fragte mich, ob er es überhaupt noch vorhatte. Vielleicht hatte er irgendwie herausgefunden, dass ich die Schneekugel mitgenommen hatte, und plante, sie zurückzustehlen. Er hatte wahrscheinlich nie die Absicht gehabt, mir zu helfen. Der hässliche kleine Dekorationsgegenstand war meine einzige Spur, und die würde ich in Reichweite behalten.
Im Diner zu arbeiten war kein besonders toller Job. Das Fett vom Grill sickerte mir in Haar und Kleider, obwohl ich einen Großteil der Zeit vorn verbrachte und kellnerte. Die Schürze– grün-weiße Baumwolle mit Rüschen und passender Mütze– war nicht gerade die Mode, die Abercrombie & Fitch für den Herbst bewarb. Aber die Trinkgelder, besonders von den Stammgästen, waren nicht zu verachten, und jedes brachte mich New York ein Stückchen näher. Da war Mr. Nelson, der jeden Tag ein pochiertes Ei, Vollkorntoast und Grapefruitsaft bestellte und blieb, bis er sein tägliches Kreuzworträtsel fertig hatte. Pater Armando bestellte, » was der Heilige Geist ihm eingab«. Mrs. Ahern bestellte immer ein Würstchen extra und steckte es in die Handtasche, damit ihr Yorkshireterrier, Ferdinand, es fressen konnte, wenn sie nach Hause kam.
Es war kein Wunder, dass es an mir nagte, Trinkgeld von meinen Klassenkameradinnen zu bekommen, aber wir waren weit genug weg von der St.-Brigid-Schule, dass sie nicht allzu oft herkamen. Unglücklicherweise lag unsere Bruderschule, St. Sebastian, nur ein paar Blocks westlich. Das hieß, dass ich viele sechzehnjährige Jungen bediente, die ihre Trinkgelder gern danach bemessen, wie viel man im T-Shirt hat.
Von der Truppe bekam ich nicht viel Trinkgeld.
In den Tagen seit Veritys Tod war Kowalski zum Stammgast geworden– haschiertes Corned Beef und ein Spiegelei, dessen bloßer Anblick mir schon die Arterien verstopfte–, und er gab immer genau fünfzehn Prozent Trinkgeld. Er zog die Münzen aus seiner rissigen Lederbrieftasche und zählte die Pennys sorgfältig ab; jedes Mal hinterließ er einen peinlich genauen Stapel an der Tischkante. Er legte großen Wert auf Ordnung, was ich nicht sehr vertrauenerweckend fand.
Ich räumte gerade Tisch vier ab, als Tim, der Koch, aus der Küche rief: » Mo! Dein Handy klingelt!«
Über das Klappern der Teller und des Bestecks und das Auf und Ab der Gespräche an acht Tischen konnte ich einen Liz-Phair-Ausschnitt hören. Ich raste in die Küche und ließ das Tablett mit dem schmutzigen Geschirr auf den Tresen gleiten.
» Mo? Ich bin’s, Lena.«
» Hallo! Was ist los?« Lena Santos war zusammen mit
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